Sotschi. Beim 100. Sieg von Bundestrainer Joachim Löw glänzen Ex-HSVer Demirbay und Werner als Torschützen – Halbfinale gegen Mexiko

Timo Werner war früher nicht immer ganz ehrlich. Aber hier in Sotschi, vor der versammelten Weltpresse, da fand der 21-Jährige, dass es sich gehöre, die Sache zu benennen, wie sie wirklich war: „Ja“, sagte der Angreifer, als er gefragt wurde, ob die kuriose Rote Karte gegen Kamerun samt großer Verwirrung um den Videoschiedsrichter dazu beigetragen habe, dass er die deutsche Nationalelf mit zwei Toren zum 3:1 (0:0) gegen den Afrikameister im letzten Gruppenspiel beim Confed Cup geschossen hatte. „Dadurch hatte ich den Platz, den ich brauchte“, sagte der Leipziger. Platz, um in der 66. und 81. Minute zu treffen – und verlorene Sympathien für sich zurückzugewinnen.

Zuvor hatte Kerem Demirbay (23) mit einem satten Schuss unter die Latte das 1:0 und damit seinen ersten Treffer im zweiten Länderspiel erzielt (48.). „Die Führung war die Erlösung für unser Spiel“, sagte der ehemalige HSV-Profi. „Zuvor hatten wir es uns selbst schwer gemacht. Natürlich freue ich mich über das Tor. Ich bin glücklich. Sehr glücklich.“

Dank Werners Doppelpack und Demirbays im wahrsten Sinne des Wortes Sonntagsschuss zieht Deutschland ins Halbfinale ein und freut sich dazu über den angenehmen Nebeneffekt, in Sotschi bleiben zu können, weil Chile zeitgleich nur 1:1 gegen Australien spielte. „Das ist natürlich toll“, sagte Werner und meinte das Bleiben im Badeort an der russischen Rivieraküste. „Wir haben einen Tag mehr Zeit, uns zu erholen und können auch mal schwimmen gehen.“ Die Mannschaft von Bundestrainer Jo­achim Löw, der in seinem 150. Länderspiel den 100. Sieg feiern konnte, trifft erst am Donnerstag auf Mexiko (20 Uhr), dem Zweiten der Gruppe A. Chile muss dagegen schon am Mittwoch in Kasan gegen Portugal antreten.

Ein Fußballspiel erzählt man ja gern an denen, die die entscheidenden Tore erzielen. Bei Werner passte das am Sonntag aber besonders gut, weil es eine Partie der zwei Gesichter war: Einer schwachen ersten Halbzeit der deutschen Elf folgte eine starke zweite. Und die 30.230 Zuschauer im Fisht-Stadion von Sotschi bekamen auch einen schwachen und einen starken Werner zu sehen. „In der ersten Halbzeit war ich ein bisschen sauer“, sagte der Leipziger, „weil die Situation mehrfach nicht ideal für mich war“. Er lief gegen die robusten Afrikaner oft stramm los in den freien Raum, nur der Ball, der mied ihn lange.

Löw hatte sich im dritten Gruppenspiel für eine Aufstellung mit Werner, Demirbay sowie Antonio Rüdiger und dem Herthaner Marvin Plattenhardt entschieden. Für den Berliner Plattenhardt (25) war es das Startelfdebüt in der Nationalelf.

Marc-André ter Stegen hat seinen Platz im DFB-Tor sicher

Kamerun hätte zur Pause führen können, wenn Marc-André ter Stegen, für dessen Verbleib im Tor sich Löw entschieden hat und das im weiteren Turnierverlauf auch beibehalten wird, nicht hervorragend gegen André-Frank Zambo Anguissa pariert hätte (45.). Nach Wiederanpfiff war dann erst Demirbays Schussqualität zu bestaunen – 1:0 – und dann ein Problem, das der Videobeweis auch mit sich bringen kann. Schiedsrichter Wilmar Rodlán war nach einem etwas härteren Einsteigen von Ernest Mabouka gegen Emre Can verwirrt, zeigte fälschlicherweise Sébastien Siani die Gelbe Karte, begutachtete dann die TV-Bilder, um Siani vom Platz zu stellen. Verwirrung nun auch im Stadion. Letztlich klärten wohl die Bilder auf, dass es doch Mabouka gewesen war. Rodlán korrigierte sich und stellte schließlich Mabouka vom Feld. Eine zu harte Entscheidung. So macht der Videobeweis wenig Sinn. „Ich habe das alles gar nicht richtig mitbekommen“, sagte Werner.

Als der Ball wieder rollte, bekam er jedoch den freien Raum mit: Eine Flanke von seinem früheren Leipziger Kollegen Joshua Kimmich beförderte er per Flugkopfball ins Netz (68.). Kamerun kam noch einmal durch den Kopfballtreffer von Vincent Aboubakar heran, weil sich ter Stegen und Verteidiger Niklas Süle nicht mit Ruhm bekleckerten (78.). Doch Werner war wieder zur Stelle, als ihn der eingewechselte Benjamin Henrichs im Strafraum freispielte (81.). Aus zehn Metern schob er ein.

Nun also Halbfinale. Werner hätte Lust auf mehr: „Wir wollen das Turnier gewinnen“, sagte er. Es waren seine allerersten beiden Tore im vierten Spiel im Nationaltrikot. Neulich hatte er noch gesagt, er hoffe, das deutsche Pu­blikum, das ihn beim 7:0 in Nürnberg wegen einer Schwalbe gegen Schalke vor einem halben Jahr auspfiff, mit Toren für sich zu gewinnen. Das Spiel gegen Kamerun war ein guter Anfang.

Und der Jubiläumstrainer? Löw erklärte, er sei „stolz auf die Jungs, dass wir das Halbfinale erreicht haben“. Angeprochen auf sein Jubiläum antwortete der Bundestrainer: „Ich muss in erster Linie den Leuten danken, die mit mir von Anfang an zusammengearbeitet haben. Oliver Bierhoff, Andreas Köpke, Hansi Flick, Urs Siegenthaler, das Team hinter dem Team. Sie haben mir Motivation und Inspiration gegeben. Besonders danke ich allen Spielern.“

Deutschland: ter Stegen – Ginter, Süle, Rü­diger – Kimmich, Rudy (74. Henrichs), Can, Plattenhardt – Demirbay (78. Brandt), Draxler (81. Younes) – Werner. Kamerun: Ondoa – Mabouka , Ngadeu-Ngadjui, Teikeu, Fai – Djoum (58. Moumi Ngamaleu), Zambo, Siani – Bassogog (82. Toko-Ekambi), Aboubakar, Moukandjo (70. Guihoata). Tore: 1:0 Demirbay (48.), 2:0 Werner (66.), 2:1 Aboubakar (79.), 3:1 Werner (81.). SR: Wilmar Roldan (Kolumbien). Z. 30.230. Rote Karte: Mabouka, grobes Foulspiels (65.). Gelbe Karte: Plattenhardt.