Kasan. Die Stelle als Ersatzmann von Stammtorhüter Manuel Neuer ist in der Fußball-Nationalelf hart umkämpft

Unter langjährigen Beobachtern der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kursiert die Geschichte eines Fluchs. Überall, wo die Delegation des DFB auftaucht, beginne es zu regnen, heißt es. Selbst dann, wenn bis eben noch die Sonne gestrahlt und der Wetterbericht zehn Wochen Dürre vorausgesagt hätte, prassele der Regen, sobald die Nationalelf da sei. In Kasan am Ufer der Wolga schüttete es am Dienstagmorgen. Spätestens ab da wusste man, dass die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw nach dem 3:2-Auftaktsieg beim Confed Cup gegen Australien und einer nächtlichen Abreise aus Sotschi in der Republik Tatarstan gelandet war. Dabei hatte sie jemanden mit einer Gemütslage wie drei Tage Regenwetter: Bernd Leno.

Das hat mit einer anderen Geschichte eines Fluchs zu tun, wonach herausragende Torhüter öfter mal vergessen, dass sie herausragende Torhüter sind, wenn sie das DFB-Trikot überstreifen. Außer sie heißen Manuel Neuer. Leno, sonst ein guter Schlussmann in Leverkusen, griff gegen Australien zweimal daneben, was aus einem einseitigen Spiel ein spannendes machte. „Ich weiß, dass Bernd ein hervorragender Torwart ist“, befand Löw trotzig. Solche Fehler passieren, ja mei. „Das wirft ihn nicht um“, glaubte Lenos Clubkollege Julian Brandt.

Sicher kann man sich da nicht sein. Beim DFB haben sie eine im Weltfußball einzigartige Leistungsdichte auf der Torwartposition hinter Neuer. Dort wetteifern Leno, Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) und neuerdings Kevin Trapp (Paris SG) um die Nummer zwei. Bundestorwarttrainer Andreas Köpke hat sich absichtlich nicht für eine Rangordnung entschieden, spricht von einer „2a“ oder „2b“, aber man kann den Eindruck gewinnen, dass die Sache zu einem größeren Nervenflattern unter den Kandidaten führt.

Eigentlich war es meist ter Stegen, der seine Klasse bei Löw gekonnt zu verleugnen wusste. Vor einem Jahr beim 1:3 gegen die Slowakei kurz vor der EM rutschte ihm ein Ball durch die Beine. Schon bei seinem Nationalelfdebüt gegen die Schweiz (3:5) und einem 3:4 gegen die USA waren Kalamitäten von ihm zu bestaunen. Nun traf der Fluch also Leno, der vor dem Spiel gegen Australien gestand: „Man ist schon mehr aufgeregt als im Verein.“

Das liegt auch daran, dass alle drei wissen, bei Löw nur wenig Gelegenheiten zu erhalten, um die eigenen Qualitäten darzubieten. Das macht das Agieren im Nationaltor noch mehr zum Nervenspiel als üblich auf dieser Held-oder-Depp-Position. Gegen Chile am Donnerstag (20 Uhr/ARD) dürften ter Stegen oder Trapp beginnen. Allerdings war das ansonsten turnierunübliche Jobsharing zwischen den Pfosten zuvor geplant, weil sich jeder der drei unter Turnierbedingungen zeigen soll.

Ter Stegen ist der, dem sie beim DFB die Neuer-Vertretung am meisten zutrauen. Der Stil der Nationalelf basiert auf einem leichtfüßigen Keeper wie ihm. Beim FC Barcelona hat der 25-Jährige sich auch deshalb durchgesetzt und gerade seinen Vertrag bis 2022 verlängert. Gegen Chile könnte er auf Claudio Bravo treffen, der noch angeschlagen ist. Ter Stegen stach Bravo bei Barca aus. Auch dort gab es ein Jobsharing im Tor. Für ter Stegen war es aber mehr Fluch als Segen. (jmey/tg)

Confed-Cup-Spiele am Mittwoch, Gruppe A: Russland – Portugal (17 Uhr/ZDF), Mexiko – Neuseeland (20 Uhr/Sport 1).