Nürnberg. Während Timo Werner beim 7:0 gegen San Marino ausgepfiffen wird, feiern die DFB-Fans ihren neuen Liebling

Als Sandro Wagner alle Fragen der Journalisten beantwortet hat, tritt er hinaus in die schwüle Nürnberger Nacht. Vor den Toren des Max-Morlock-Stadions versperrt ihm eine große Gruppe von Fans den Weg. Wagner stoppt, schreibt geduldig Autogramme, nimmt ein kleines Kind in den Arm, während der Vater ein Handyfoto schießt. Mitten im Gewitter der Blitzlichter und dem Gewirr der Stimmen schallt ein „Saaandro Waaaagner – Fußballgott“ durch die Dunkelheit. Wagner schaut kurz hoch und lächelt.

Auf diesen Moment hatte er gewartet. 29 lange Jahre. Nach dem deutschen 7:0-Sieg im WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino war dieser Moment endlich gekommen. In seinem zweiten Länderspiel hatte er dreimal getroffen. „San Marino ist nicht England oder Italien. Aber trotzdem fühlt sich das wunderbar an“, sagte er, „es war ein toller Abend.“

Man muss in seinem Leben schon einiges erlebt haben, um zu erkennen, dass diese Momente der Anerkennung keine Selbstverständlichkeit sind. Sandro Wagner weiß das. Vor zwei Jahren spielte der 1,94-Meter Stürmer bei Hertha BSC Berlin. Wagner traf das Tor nicht mehr. Während die Kollegen trainierten, schickte ihn Pal Dardai auf einen Nebenplatz. Herthas Trainer ließ einen Pappkameraden ins Tor stellen. Das sollte der Torwart sein. Wagner musste einfach nur auf das leere Tor schießen. Immer und immer wieder. Man kann nur erahnen, wie erniedrigend und schmerzvoll dass für ihn gewesen sein muss.

In dieser Zeit der Düsternis hatten auch die eigenen Anhänger kein Mitleid mit dem erfolglosen Stürmer. Wenn Wagner im Olympiastadion auflief und mal wieder das Tor nicht traf, dichteten die Fans in der Kurve einen Gassenhauer aus den 70er-Jahren vom Schlagerbarden Michael Holm um. Aus „Mendocino, Mendocino, ich fahre jeden Tag nach Mendocino“ machten sie „Saaaaaandro Waaagner. Saaaandro Waaagner, keiiiiner spielt so schööööön­ wie Saaaandro Waaaagner“.

Manch ein Profi wäre daran zugrunde gegangen. Wagner nicht. „Ich bin nicht der Typ, der rausgeht, um die Schlacht zu verlieren.“ Nun ist er da angekommen, wo er einst begann. Oben. Wagner gehörte 2009 der Generation Malmö an. Mit Manuel Neuer, Mats Hummels, Mesut Özil und Je­rome Boateng wurde er U-21-Europameister. Beim 4:1-Finalsieg gegen England gelangen ihm zwei Treffer.

Aber während die Neuers und Boatengs die große Fußballbühne eroberten und 2014 den WM-Triumph in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro feierten, hießen Wagners Fußballstädte Duisburg, Kaiserslautern und Bremen. Dass Wagner jetzt da ist, wo er ist, liegt auch an seinem selbstverständlichen Selbstvertrauen. Man kann es auch Persönlichkeit nennen.

Als Wagner nach seinem Dreierpack in der Mixed Zone der Nürnberger Arena steht, schaut er seinem Gegenüber in die Augen. Dann sagt er Dinge, die überraschen, weil sie in Zeiten des glatt gebügelten Fußballs so ehrlich klingen. Weil es nicht die üblichen Wortbaukästen sind. Seinen Sturmpartner Timo Werner nimmt er mit deutlichen Worten in Schutz. Der Leipziger wurde von den eigenen Fans ausgepfiffen. Viele nehmen ihm noch immer eine Schwalbe aus dem Dezember 2016 übel. „Die Pfiffe gegen Timo haben gestört. Er spielt ja hier für Deutschland. An dem haben wir noch viel Freude die nächsten Jahre. Unverständlich, dass man den auspfeift“, sagte Wagner. „Aber der ist so stark in der Birne, der kann damit umgehen.“

Auch Wagner ist stark in der Birne. Nach dem Spiel sagt er, ihm imponiere Joachim Löw. „Er hat eine großartige Ausstrahlung. Es ist schön, so einen Menschen kennenzulernen. So etwas erlebt man heutzutage ja nicht so oft.“ Wagner weiß, dass er in Zukunft noch häufiger mit Löw zu tun haben wird.

Deutschland: Ter Stegen – Kimmich, Mustafi, Hector (55. Plattenhardt) – Can, Brandt, Goretzka, Draxler (76. Demme), Younes – Stindl (56. Werner), Wagner.San Marino: Benedettini – Bonini, Galazzano, Biordi, Cesarini (87. Brolli) – Palazzi, Golinucci, Cervellini, Mazza (69. Bernardi), Zafferani – Rinaldi (78. Hirsch).Tore: 1:0 Draxler (11.), 2:0 Wagner (16.), 3:0 Wagner (29.), 4:0 Younes (38.), 5:0 Mustafi (47.), 6:0 Brandt (72.), 7:0 Wagner (85.). Gelbe Karten: Bonini, Cervellini, Mazza. SR: Petrescu (Rumänien). Z.: 32.467.