Cardiff/Madrid. Die „Königlichen“ verteidigen in der Champions League ihren Titel, weil die Mischung aus Stars und Arbeitern stimmt

„Balón de oro“, sangen die Fans, „Cristiano, balón de oro“. Man hat sie durchaus schon gehört, diese Forderung nach dem Goldenen Ball des Weltfußballers für Cristiano Ronaldo. Neu war allerdings, dass Ronaldo in den Gesang mit einstimmte. Womit bei der Siegesparty von Real Madrid am Sonntagabend im Estadio Bernabéu alle Dämme brachen.

Es gab viel zu feiern. Die erste Titelverteidigung in der Champions League im heutigen Format. Den dritten Triumph in den vergangenen vier Jahren. Reals ersten seit 1958, der vom Gewinn der heimischen Liga begleitet wird. Den Trainer Zinédine Zidane mit zwei Europapokalen in anderthalb Jahren Amtszeit. Und ja, natürlich Ronaldo.

Seit Jahren ist der Portugiese das Sinnbild dieses Clubs mit seiner Eigenliebe, seinem Hunger, seiner sportlichen Klasse – und seinem nicht über jeden Zweifel erhabenen Charakter. Am Jahresende wird er erneut zum Weltfußballer gewählt werden, ganz bestimmt. Er wird dann fünf solcher Auszeichnungen besitzen, wie der Argentinier Lionel Messi vom FC Barcelona. Selbst gegen diesen hinreißenden Fußballer hat er sich behauptet, so wie letztlich Real gegen das famose Barça des vergangenen Jahrzehnts.

Zu feiern gab es am Tag nach dem zwölften Sieg im wichtigsten Europacup durch ein 4:1 gegen Juventus Turin nicht zuletzt das Gefühl, „dass es gerade erst losgeht“, wie Marco Asensio (21) sagte – eingewechselter Torschütze und einer derjenigen, die diese Zukunft prägen sollen. „Eine neue Ära hat begonnen“, sekundierte Ronaldo. Dass er sich erstmals auf Rotationen einließ, dass er sich vom Weltfußballer-Vorgänger Zidane auch zu mehr Teamgeist ermutigen ließ, dass er seine altersgerechtere Rolle als Mittelstürmer akzeptierte, dass diese im Zuge der Umstellung auf ein 4-4-2-System nach der Verletzung von Gareth Bale in den vergangenen Wochen potenziert wurde: All das hat zu einem historischen Torreigen beigetragen.

Zehn Treffer eines Spielers ab dem Viertelfinale gegen Rivalen vom Kaliber Bayern München, Atlético Madrid und Juventus – so etwas gab es nie und wird es wohl nicht wieder geben. Auch wenn Ronaldo noch bis 41 weiterspielen will.

„Es gibt keinen besseren Ort, um Fußballer zu sein, als Real Madrid“, jubilierte Offensivkünstler Isco. Real ist wieder auf der Höhe seiner Geschichte angekommen, aber wie jede Ära musste auch diese sich erst zusammenfügen. Ob Barça, Bayern München oder jetzt Real Madrid – eine große Elf erreicht ihren Zenit, wenn es über ein paar Jahre wenig Veränderungen gibt, wenn sie ins Gleichgewicht kommt aus Alt und Jung, arriviert und aufstrebend, aus Stars und Arbeitern, Transfers und talentierten Eigengewächsen.

Reals Verherrlichung enthält so auch eine Lehre für die in Madrid oft so ausgeprägte Sucht nach neuen Spielzeugen, denn sie ereignete sich just in einer Saison, vor der man so wenig Geld für Transfers ausgab wie noch nie in diesem Jahrtausend. Bezeichnenderweise spielten die teuersten Einkäufe der aktuellen Amtszeit von Präsident Florentino Pérez (Ronaldo kam vorher) in Cardiff keine Rolle: Bale (101 Millionen Euro) durfte nur eine Viertelstunde mitmachen, James Rodríguez (80 Millionen) erhielt nicht mal einen Platz auf der Bank.

Toni Kroos kam vor drei Jahren und ist damit der Stammspieler mit der kürzesten Aufenthaltsdauer. Was seine Bedeutung nicht schmälert. Durch Zidanes Faible für den begleitenden Zerstörer Casemiro dirigiert er noch freier. Gegen Juve leitete er das erste Tor mit einem fulminanten Antritt ein, dabei ist das gar nicht seine größte Stärke. Und als Zidane die Linien in der zweiten Halbzeit weiter nach vorn beorderte, erreichte er eine fast schon unheimliche Präsenz. Mit dem gleichfalls überragenden Luka Modric bildet Kroos das weltbeste Mittelfeld-Duo und hat mit 27 Jahren zum dritten Mal die Champions League gewonnen (s. Bericht unten). Kein anderer Deutscher kommt im aktuellen Format auch nur auf zwei Titel.

So könnte man lange weitermachen mit den Rekorden. Real werkelt an seiner größten Epoche im Zeitalter des Farbfernsehens, angeführt von seinem stillen Leader, dem sich sogar Pérez unterordnet: „Zizou ist der Dirigent dieses Orchesters, wenn er will, kann er für immer bleiben.“ Einer der größten Fußballer aller Zeiten hat die Puzzlestücke zusammengefügt, seine Autorität gegenüber Mannschaft wie Verein durchgesetzt, keinen Fehler zweimal gemacht und sich nicht die kleinste Eitelkeit erlaubt. Seine Spielintelligenz demonstrierte Zidane auch im Siegesrausch, als er allen Avancen widerstand, ewige Triumphe zu versprechen. „Ihr wisst doch, wie der Fußball ist. Nächstes Jahr wird alles viel schwerer.“

Juventus Turin: Buffon – Chiellini, Bonucci, Barzagli (66. Cuadrado) – Khedira, Pjanic (71. Marchisio) – Alves, Alex Sandro – Dybala (78. Lemina), Higuain, Mandzukic.
Real Madrid: Navas – Carvajal, Ramos, Varane, Marcelo – Casemiro – Kroos (89. Morata), Modric – Isco (82. Asensio) – Benzema (77. Bale), Ronaldo.Tore: 0:1 Ronaldo (20.), 1:1 Mandzukic (27.), 1:2 Casemiro (61.), 1:3 Ronaldo (64.), 1:4 Asensio (90.). SR: Brych (München). Zuschauer: 65.842. Gelb-Rot: Cuadrado (84.).