Düsseldorf. IOC-Präsident Bach über die Zukunft der Spiele und eine deutsche Bewerbung

Thomas Bach (63) ist Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), damit mächtigster Sportfunktionär der Welt. Als der Fecht-Olympiasieger von 1976 die Tischtennis-WM in Düsseldorf besuchte, wollte er Fragen zur Olympiachance der Region Rhein-Ruhr nicht direkt beantworten. Gewisse Sympathien für NRW-Spiele verbarg er jedoch nicht.

Her Bach, Sie haben gerade die Tischtennishochburg Düsseldorf besucht. Welchen Eindruck gewinnen Sie von der Region Rhein-Ruhr?

Thomas Bach: Die Sportbegeisterung hier ist nicht neu für mich. Ich habe schon zu meiner Zeit als Athlet mitbekommen, dass in Nordrhein-Westfalen das Herz des deutschen Sports besonders laut schlägt. Hier lehnen sich die Zuschauer nicht zurück, sie sind mit Emotionen, Engagement und Herzblut bei der Sache.

Wie dankbar sind Sie nach den Erfahrungen von Hamburg und München, wo die Bevölkerung gegen Olympische Spiele votierte, dass der Sportveranstalter Michael Mronz eine neue Olympiainitiative an Rhein und Ruhr angestoßen hat?

Ich schaue mit Sympathie auf alle Initiativen, die es sich zum Ziel machen, Olympische Spiele nach Deutschland zu holen. Aber ich muss die Zuständigkeiten wahren, andernfalls würde mir der Deutsche Olympische Sportbund zu Recht grausam auf die Füße treten. So eine Bewerbung muss wachsen. Mit der Bevölkerung, mit der Sportbewegung. Die können Sie nicht überstülpen.

Halten Sie es für möglich, dass Olympische Spiele eines Tages an eine Region und nicht an eine einzelne Stadt vergeben werden?

Ja, aber entscheidend ist, den viel zitierten olympischen Geist greifbar und fühlbar zu machen. Die olympische Idee wird im olympischen Dorf gelebt, dann von den Athleten nach außen getragen. Das ist in dieser von Krisen befallenen, fragilen Welt wichtiger denn je. Bei uns treten Athleten aus 206 Nationen im härtesten Wettkampf ihres Lebens an, aber gleichzeitig wohnen sie unter einem Dach im olympischen Dorf, gehen zusammen essen, unterhalten sich, feiern gemeinsam. Diese Seele muss erhalten bleiben. Andererseits wollen wir mit der Agenda 2020 Bedenken in Bezug auf Nachhaltigkeit Rechnung tragen. Wenn man sich nur auf eine Stadt konzentriert, kann dies dazu führen, dass es für neue Sportstätten oder Infrastrukturmaßnahmen keine nachhaltige Nutzung gibt. Deshalb muss man sich jeweils die Situation anschauen.

Olympia wird immer größer, teurer, aufwendiger. Ist man am Limit angekommen?

Das erste Bewerbungsverfahren, das nach den neuen Regeln läuft, ist das für 2024. Da sehen Sie, dass die Bewerberstädte Los Angeles und Paris eine Rekordzahl an bestehenden und temporären Sportstätten nutzen wollen. Das hat erhebliche Kostensenkungen zur Folge.

Nach der Ablehnung in Deutschland – sind Olympische Spiele noch zeitgemäß?

Das orientiert sich nicht an Deutschland allein. Weltweit stellen wir fest, dass das Interesse größer ist denn je. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat die Spiele in Rio verfolgt und damit die Botschaft unterstützt, dass man sich in einer Welt voller Misstrauen und Feindschaft nicht den Kräften unterwerfen sollte, die alles auseinandertreiben. Insofern sind die Spiele mehr als zeitgemäß. Auf der anderen Seite müssen wir uns den Herausforderungen stellen, die mit diesem Zeitgeist einhergehen. Ich denke zunächst an die Veränderungen bei Entscheidungen. Da passiert in der westlichen Welt vieles nach reiner Gefühlslage. Diese neue Herangehensweise kann mit Skepsis nicht ausreichend beschrieben werden, es geht um Misstrauen.

Wie wollen Sie Vertrauen zurückholen?

Wenn wir auf das Bewerbungsverfahren schauen, haben wir keinen Anlass für Misstrauen, aber für Skepsis gegeben. Das Verfahren ist zu teuer und zu perfektionistisch. In vielen westlichen Ländern funktioniert es so nicht mehr. Also müssen wir etwas ändern. Unsere vier Vizepräsidenten werden jetzt Vorschläge unterbreiten, wie wir individueller werden können, um uns besser auf potenzielle Kandidaten einzustellen. Es geht auch darum, Kosten zu senken.

Wie sehen Ihre Modernisierungspläne aus, wenn es um das Programm geht? Einige Traditionalisten sind bereits aufgeschreckt.

Wir werden nie eine Lösung finden können, über die alle jubeln. Insgesamt empfinde ich das Programm als eine gelungene Mischung aus Tradition und Fortschritt. Dem Fortschritt geben wir in Tokio 2020 viel Raum: Mit Skateboarding, Surfen oder Klettern setzen wir neue Akzente . . .

. . . und hoffen, über die Trendsportarten gerade junge Menschen zu erreichen.

Die Programmreform für Tokio hat drei Ziele: Mehr Jugendlichkeit, mehr Weiblichkeit und der Urbanisierung des Sports Rechnung zu tragen. Wir können nicht mehr darauf warten, dass die Jugendlichen zu uns kommen. Früher ist niemand am Sport vorbeigekommen. Sei es durch Freunde, die Familie oder die Schule – irgendwann war der Sport gegenwärtig. Das ist heute anders. Also müssen wir dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind. Deshalb sind in Tokio Klettern und Skateboarding im Stadtzentrum geplant.

Wird sich das Programm so weit öffnen, dass auch der Wettkampf mit Computerspielen olympisch wird, der eSport?

Spiele, in denen auf Menschen geschossen wird, in denen Autos explodieren oder in denen es um Krieg geht, lassen sich nicht mit der olympischen Idee verbinden. Wenn beim eSport existierende Sportarten virtuell betrieben werden, kann das sehr interessant sein und etwas, über das wir nachdenken sollten. Denn es kann ein Weg sein, um die Jugendlichen an den Sport im klassischen Sinn heranzubringen.

Die vergangenen Monate waren geprägt von der Diskussion um Russland und sein Dopingsystem. Fürchten Sie, dass die Kritik, die Sie einstecken mussten, am Ende alle weitreichenden Reformen, die Sie angeschoben haben, überstrahlen könnte?

Ich bekomme diese Diskussion in Deutschland mit und finde es schade, dass wegen der Einseitigkeit mancher so vieles von dem anderen, was wir tun, nicht berücksichtigt wird. In anderen Ländern verhält es sich ganz anders, und das macht es verkraftbar. Die Kritik ist in Deutschland sicher am stärksten. Sie wird in meinem Heimatland von einigen auch mit dem Versuch der persönlichen Diskreditierung betrieben. Im Ausland sieht man, wie unsere Reformprogramme geschätzt werden.

Es sind keine neun Monate mehr bis zu den Winterspielen in Pyeongchang. Wird in Südkorea wieder mehr der Sport im Mittelpunkt stehen als weitere Dopingskandale?

Zwei Kommissionen sind damit beschäftigt aufzuarbeiten, was bei den Winterspielen in Sotschi 2014 passierte. Von den Ergebnissen dieser Kommissionen hängen unsere Sanktionen ab.

Müsste Ihre Stimme manchmal lauter sein, wenn es um so essenzielle Fragen wie russisches Staatsdoping geht?

Es ist einfach, laut zu sein und Symbolpolitik zu betreiben. Davon bin ich kein Anhänger. Es geht auch um die Frage der langfristigen Betrachtung. Ich trage in meiner Funktion nicht nur für den Augenblick Verantwortung, sondern für viele Jahre. Insbesondere die Athleten, auch die Verbände und Regierungen müssen sich verlassen können, dass wir unseren Prinzipien treu bleiben und nicht einer politischen Zeitgeiststimmung nachgeben. Beim Thema Doping geht es um Gerechtigkeit und nicht um politische Symbolentscheidungen.