Hamburg. Der Ruder-Olympiasieger, der aktuell vom Leistungssport pausiert, will 2022 mit seinem Bruder nach Tokio

Wie er es verkraften wird, nur vom Ufer aus zuzuschauen, während die anderen sich für die Medaillen in die Riemen legen, das weiß er nicht. „Es ist der erste große Wettkampf, den ich als Zuschauer und nicht als Aktiver erlebe. Komisch wird das sicherlich“, sagt Eric Johannesen. Auf die Ruder-EM ganz zu verzichten, die von Freitag bis Sonntag im tschechischen Racice stattfindet, war für den 28-Jährigen keine Alternative. Nicht nur, weil Bruder Torben (22) seinen Platz im Achter eingenommen hat. Sondern auch, weil der Olympiasieger von London 2012 und Silbergewinner von Rio 2016 neue Lust hat auf seinen Sport.

Weil seine Leidenschaft zuletzt immer häufiger Leiden schaffte, hatte Eric Johannesen nach den Spielen in Brasilien beschlossen, ein Pausenjahr einzulegen. Er wollte Zeit gewinnen, um sein duales Studium voranzutreiben. An der Hamburg School of Business Administration (HSBA) macht er 2018 seinen Bachelor, zudem arbeitet er für den Schiffsversicherungsmakler Georg Duncker, jeweils in Dreimonatsblöcken. „Es hat sehr viel Kraft gekostet, neben der Ausbildung noch eine volle Leistungssportkarriere durchzuziehen. Deshalb bin ich froh, dass ich mich für die Pause entschieden habe, auch wenn ich gedacht hatte, dass ich mehr Zeit für andere Dinge gewinnen würde.“ Nun ist es nicht ohne Risiko, einen extrem auf Ausdauer und Kraft trainierten Organismus so herunterzufahren; vor allem mit dem festen Vorhaben im Hinterkopf, nach der Pause noch einmal Weltspitzenniveau erreichen zu wollen. Welche Gefahren das birgt, kann Michael Ehnert erklären.

Der 54-Jährige leitet das Sportmedizinische Institut der Asklepios Kliniken und ist als Betreuer der Hamburger Olympioniken auch Johannesens Vertrauensarzt. „Nach einer so langen Phase im Hochleistungssport sind das Herz-Kreislauf- und Hormonsystem sowie der Stoffwechsel an diese außergewöhnlichen Belastungen gewöhnt. Wenn man dann plötzlich den Stecker zieht, kann sich das nachteilig auf die Herzökonomie auswirken“, sagt er.

Deshalb müssten Sportler, die ihre Karriere beenden, über sechs Monate mit mindestens 50 Prozent der gewohnten Umfänge abtrainieren. Da Johannesen nicht aufhören will, brauchte er keine explizite medizinische Anleitung. „Eric kennt seinen Körper gut und ist einer der diszipliniertesten Athleten, die ich betreue. Ihm muss man nicht mehr konkret vorschreiben, was er zu tun hat“, sagt Ehnert.

Um fit zu bleiben, half der 1,93 Meter große und 100 Kilo schwere Modellathlet seiner Freundin Kaja als Mitläufer in der Vorbereitung auf den Haspa Marathon, er traf sich mit Freunden zum Fußballspielen, fuhr Rad und entdeckte auch das Golfspielen. Rudern allerdings war zwischen Dezember und März tabu, „und ich habe es auch wirklich nicht vermisst. Wichtig war mir nur, Sport als Ausgleich zu treiben, denn ich brauche Bewegung.“

Erst als ihn seine Kommilitonen an der HSBA für die Teilnahme am Hanse Boat Race im April gegen die Bremer Jacobs-University begeisterten, stieg Johannesen wieder regelmäßig ins Boot. Aktuell trainiert er an vier bis fünf Tagen um 6.30 Uhr auf der Alster mit seinem langjährigen Nationalteamkollegen Max Munski. Gemeinsam wollen die beiden im Zweier bei der Studenten-EM im serbischen Subotica (12. bis 16. Juli) starten.

Den Kontakt zu den alten Kollegen hat Johannesen schon allein über seinen Bruder gehalten. Mit Chef-Bundestrainer Marcus Schwarzrock will er in den kommenden Wochen ein Gespräch führen, um den Fahrplan für sein Comeback abzustimmen. Geplant ist, 2018 zurückzukehren. Fakt ist, dass ihn vor allem die Aussicht, erstmals in einem Wettkampf mit seinem Bruder in einem Boot zu sitzen, antreibt. „Ich bin sehr stolz auf Torben, dass er es so souverän in den Achter geschafft hat. Mit ihm 2020 in Tokio eine Medaille zu holen wäre ein Traum“, sagt Eric Johannesen, der sich dafür den Zweier oder den Achter vorstellen könnte.

Ehnert zweifelt nicht daran, dass den Johannesens dieser Triumph gelingen kann. „Eine Pause kann auch mental reinigend wirken und neue Motivation freisetzen. Wer so lange auf so hohem Niveau war wie Eric, kommt schnell in sein altes Leistungsprofil zurück.“ Am 6. Juni steht die turnusmäßige Jahresuntersuchung an, vorm Wiedereinstieg wird ein Statuscheck folgen, um die sportartenspezifische Leistungsphysiologie, die Mobilität und die Parameter der Körperfunktionen zu überprüfen. „Ein besonderes Aufbauprogramm wird Eric vermutlich nicht benötigen.“

Johannesen glaubt, dass der mentale Aspekt die körperlichen Anforderungen überstrahlen wird. „Ob ich es schaffe, noch mal 40 bis 50 Prozent Trainingsumfang aufzusatteln, ist die spannende Frage“, sagt er. Im Herbst will er die Verträge mit seinen Sponsoren verlängern, die nach dem Olympiazyklus ausgelaufen waren und während der Pause ruhen. Von der Sporthilfe bekommt er Übergangsgeld, auch im Team Hamburg, das sich neu konstituiert, wird er weiter geführt. Eric Johannesen mag zwar nicht mittendrin sein im Moment, aber er ist weiterhin dabei.