Der HSV setzt vor dem Endspiel gegen Wolfsburg auf einen Rückkehrer – und auf den Wachtelhof

Nicolai Müller ist mit 173 Zentimetern Körperlänge ein vergleichsweise kleiner Mann. Den Trainingsgästen des HSV dürfte es am Dienstag aber nicht schwer gefallen sein, den kleinen Müller in der großen Gruppe der Hamburger Profis zu finden. Sie mussten eigentlich nur darauf achten, wer das größte Grinsen im Gesicht hatte. Selbst ohne Diplom in Mimikdeutung war aus 50 Metern Entfernung kaum zu übersehen, wie es um Müllers Gemütszustand bestellt war. Der Flügelstürmer des HSV grinste um die Wette.

45 Tage nach seinem Innenbandriss im Knie konnten sich die Fans beim öffentlichen Training erstmals wieder ein eigenes Bild machen von Müllers Verfassung. Auf Abendblatt-Nachfrage, wie sein Körper die Trainingseinheit verkraftet habe, sagte der HSV-Hoffnungsträger mit einem verschmitzten Lächeln: „Das konnte man doch sehen, oder?“

Man konnte es sehen. Vier Tage vor dem Endspiel um den direkten Klassenerhalt gegen den VfL Wolfsburg präsentierte sich Müller wieder in bester Form. Er sprintete vorneweg, schmiss sich in Zweikämpfe und schoss Tore. Vor allem aber lachte der 29-Jährige immer wieder lautstark. Man hätte meinen können, der Müller und der HSV würden sich mit großer Vorfreude auf ein großes Spiel vorbereiten. Doch auch wenn die Stimmung im Team vor dem großen Spiel gegen Wolfsburg gelöst wirkt, ist beim HSV nur eines groß: die Anspannung. „Ich erwarte das emotionalste von vielen emotionalen Spielen in diesem Jahr“, sagte Jens Todt am Dienstag.

Der Sportchef des HSV entschied am Nachmittag gemeinsam mit Trainer Markus Gisdol, vor dem entscheidenden Duell gegen den VfL erneut ein Kurztrainingslager zu beziehen. Am Donnerstag reist die Mannschaft für eine Nacht nach Rotenburg an der Wümme. Wie schon vor dem Spiel gegen Mainz will sich der HSV im Wachtelhof in aller Ruhe auf Wolfsburg einstimmen, damit am 34. Spieltag der Klassenerhalt geschafft wird. „Niemand hat hier Lust auf die Relegation“, sagte Todt.

Im Gegensatz zum Trainings­lager vor zwei Wochen werden am Donnerstag zwei Rückkehrer wieder dabei sein. Neben Nicolai Müller ist auch Albin Ekdal sechs Wochen nach seinem Muskelbündelriss ins Mannschaftstraining zurückgekehrt. Der Schwede ermöglicht Trainer Gisdol wieder eine größere Auswahl im defensiven Mittelfeld.

Hoffnung macht dem HSV aber vor allem die Rückkehr von Müller. Ohne seinen Topscorer (fünf Tore, sieben Vorlagen) gewannen die Hamburger zuletzt nur eines von sieben Spielen. Vor allem in der Offensive ging ohne Müller nahezu nichts. Will der HSV die dritte Relegation in vier Jahren vermeiden, braucht er gegen Wolfsburg einen Sieg. Und dafür wiederum braucht der HSV seinen Müller. „In guter Verfassung bringt uns Nico richtig Tempo auf die Seite. Er ist ein wichtiger Teil unserer Offensivzange“, sagt Sportchef Todt.

Mit Müller in der Startelf holt der HSV mehr Punkte

Wie wichtig der ehemalige Nationalspieler für den HSV ist, verdeutlichen die Zahlen. Mit Müller in der Startelf holte der Club in dieser Saison 1,2 Punkte im Schnitt. Ohne ihn waren es nur 0,8. Im Laufe der Saison gab Müller 43 Torschüsse ab, 40 Abschlüsse legte er auf. Insbesondere seine Geschwindigkeit fehlte dem HSV. Mit 37 Sprints pro Spiel liegt Müller in der Spitzengruppe der Liga. Mit einem Topspeed von 34,4 km/h ist er der schnellste HSV-Spieler.

Nun hofft die sportliche Führung, dass Müller nach seiner Verletzung so schnell wieder einschlägt wie vor zwei Jahren. Damals rettete er den HSV in seinem ersten Spiel nach einem Knochenödem mit seinem Tor in der Relegation vor dem Abstieg. Und diesmal? „Normalerweise muss man jedem Spieler eine Eingewöhnungszeit zugestehen, aber Nico hat jetzt mehrfach voll trainiert. Er hat die Pause gut genutzt“, sagt Todt.

Schneller als ursprünglich erhofft ist Müller wieder voll belastbar. In der Rehaphase hatte er sich zusätzliche Hilfe bei Bioenergetiker Rainer Eberherr genommen. Privat nutzte Müller die Pause, um Gitarre spielen zu lernen. „Ich bin noch in den Anfängen“, sagte der Familienvater am Dienstag. Und grinste. Seinen Zwillingen Livia und Etienne (3) will er künftig auch als Musiker gefallen.

Am Sonnabend (15.30 Uhr) werden die beiden ihren Papa im Volksparkstadion aber wieder als Fußballer beobachten. Gut möglich, dass Müller gegen Wolfsburg wieder in der Startelf steht. Auf Schalke hatte Trainer Gisdol noch auf einen Einsatz des Rückkehrers verzichtet. Das Risiko sei noch zu groß gewesen.

Aufpassen muss Müller gegen Wolfsburg nur noch auf seine Gelbe-Karten-Bilanz. Vier Gelbe Karten hat er in dieser Saison bereits gesehen. Bei einer weiteren wäre er für ein Spiel gesperrt – auch in einer möglichen Relegation. Vor zwei Jahren kritisierte Ex-Trainer Bruno Labbadia diese Regel bereits, als er im zweiten Relegationsspiel in Karlsruhe auf die gesperrten Heiko Westermann und Gojko Kacar verzichten musste.

Letztlich schaffte es der HSV auch ohne die beiden – dank Siegtorschütze Müller. Nun könnte sich die Geschichte wiederholen. Wenn es nach Müller geht, rettet er seinen Club bereits vor der Relegation.