Köln . Deutschland kann heute ins Viertelfinale der Eishockey-WM einziehen. Wichtigster Mann ist der NHL-Profi

Die Trennung erfolgte doch ganz schnell. Schön buschig trug Leon Draisaitl seinen Bart nach seiner Ankunft vor sich her und wollte ihn eigentlich nicht abnehmen. Obwohl die Play-offs, der Anlass für den Wildwuchs, hinter ihm lagen. „Das hier ist meine dritte Runde“, sagte der Stürmer. Doch ein Tag bei Mama scheint die Meinung geändert zu haben. Am Montag lief Draisaitl frisch rasiert beim Training auf.

Das hier ist die Weltmeisterschaft, die WM im eigenen Land. Für Draisaitl, den Kölner, sogar das Turnier in der eigenen Stadt. „Ich habe hier angefangen, Eishockey zu spielen, und habe viel gelernt. Natürlich ist das etwas Besonderes für mich, hier zu spielen“, erzählt er. Jedes seiner Worte wird aufgesogen. Ein paar Stunden erst ist Draisaitl in Köln, als er das sagt. Er kam aus Kanada, schlief ein bisschen zu Hause bei Mama, ging in die Halle und gewann mit der Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) gegen Italien mit 4:1. Zum besten Spieler wurde er gewählt, das Publikum feierte den 21-Jährigen, anschließend betonte jeder, wie wichtig sein Mitwirken für das Team ist.

Immer größere Ausmaße nimmt der Rummel um den Jungstar an, die Erwartungen an ihn sind riesig. „Ich denke, dass man immer Druck hat, wenn man ein guter Spieler sein will“, sagt er. In Edmonton muss er jeden Tag mit diesen Dingen umgehen. Dort hat Eishockey einen ganz anderen Stellenwert als hier. „Eishockey ist Religion, mehr noch als Fußball in Deutschland. Edmonton lebt Eishockey, und die Oilers sind Kult“, so Draisaitl. In diesem Umfeld in der besten Liga der Welt, der NHL, steigerte sich der Deutsche zuletzt von Tag zu Tag, er stieg vom Talent zum gefeierten Star auf. Nach zehn Jahren ohne Play-off führte er die Oilers ins Viertelfinale, verbuchte dabei noch nie von einem Deutschen erreichte 77 Punkte (29 Tore, 48 Vorlagen). Nur sieben Profis sammelten mehr Zähler, im NHL-Play-off liegt er mit sechs Toren und zehn Vorlagen noch immer auf Platz zwei der Scorerliste. Doch die Oilers schieden aus, deshalb ist er nun in Köln. Und spielt seine gefühlte dritte Play-off-Runde.

Er soll mal eben Deutschland retten. Das Team von Bundestrainer Marco Sturm spielte bislang durchwachsen. Mit Draisaitls Ankunft veränderte sich aber vieles. „Schon vor dem Spiel war ein anderer Schwung in der Mannschaft“, sagt Sturm. Gegen Italien setzte der Star sofort Akzente, leitete den Führungstreffer ein. „Du kannst ihm immer den Puck geben, er macht was Gutes draus. Er hat das Auge und den Körper, bei ihm stimmt das Gesamtpaket“, sagt Matthias Plachta, der mit Brooks Macek neben Draisaitl in einer Reihe spielte. Sein Gespür für das Spiel, für die Nebenleute zeigte Draisaitl ebenso wie seine Dynamik und Technik. „Man sieht einfach seine Spielfreude“, erzählt Angreifer Marcus Kink. Die meiste Eiszeit aller Stürmer erhielt Draisaitl selbstredend. „Er hat bewiesen, dass er den Unterschied machen kann, obwohl er sehr müde war. Er macht alle Spieler besser“, so Sturm. Alle lieben Leon.

Der sollte sich gegen die Italiener nur einspielen für die wichtige letzte Gruppenpartie der Deutschen gegen Lettland am Dienstag (20.15 Uhr, Sport1), die über die Viertelfinalteilnahme entscheidet. „Ich fühle mich ganz okay. Und ich denke, dass es ein gelungener Start war.“ In der Mannschaft fühlt sich Draisaitl sehr wohl, „wir haben eine supercoole Truppe zusammen“, so der Stürmer, der 2010 bei der Heim-WM in Köln noch als Helfer mit einem Schieber den Abrieb vom Eis gekratzt hat.

Damals verlief das Turnier wie ein Märchen mit dem Halbfinal-Einzug. Nun will er der deutschen Eishockey-Geschichte ein Kapitel hinzufügen. „Ich denke, dass wir viel Potenzial haben“, sagt der neue deutsche Eishockey-Held, der sich nach dem ersten WM-Einsatz einen Tag bei seiner Mutter verwöhnen ließ.