Hamburg. Mittelfeldmann Bernd Nehrig trifft mit dem Kiezclub im letzten Heimspiel der Saison auf Greuther Fürth

Vor dem trockenen Humor von Bernd Nehrig ist man nie gefeit. Als der kleine Presseraum im Trainingszentrum an der Kollaustraße von Aziz Bouhaddouz und einer Mitarbeiterin der Medienabteilung belegt ist, platzt dem Mittelfeldspieler des FC St. Pauli der Kragen. „Raus hier, ich bin der Ältere“, poltert Nehrig laut und bestimmt, ehe er sein spitzbübisches Lächeln aufsetzt. „Als Führungsspieler muss man Zuckerbrot und Peitsche anwenden. Wir sind aber auch ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Faxen zu machen. Ohne Spaß geht es nicht.“

Und Nehrig empfindet in seiner Rolle als Leader Freude. Der gebürtige Heidenheimer lebte vor, was im Klassenkampf gefragt war: Leidenschaft, Widerstandsfähigkeit und Professionalität. Der 30-Jährige versteckte sich weder auf dem Platz noch vor den kritischen Fragen der Journalisten. Nehrig war der emotionale Motor des Kiezclubs: „Führungsstärke bedeutet für mich, dass ich gerade den jüngeren Spielern ein Leitbild mitgebe, ihnen Halt gebe, wenn es nicht läuft. Dass man mit Mentalität und Charakter vorneweg marschiert“, sagt der Mittelfeldspieler vor dem letzten Heimspiel am Sonntag (15.30 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) gegen Greuther Fürth.

Ein Vorbild ist Markus Babbel

Nehrig selbst haben große Persönlichkeiten geprägt. Als er in der Jugend des VfB Stuttgart zu den Profis hochgezogen wurde, trainierte er täglich mit Topstars wie Jon Dahl Tomasson und Markus Babbel zusammen. „Die haben alles erreicht in ihrer Karriere. Sie waren nie abgehoben, charakterlich stark“, erinnert sich Nehrig: „Wenn man zuhört und bereit ist, etwas aufzunehmen, kann man sich als junger Profi bei vielen Charakteren etwas abschauen und selbst als Spieler und Mensch wachsen.“

Und genau diese Erfahrungen haben Nehrig auch geholfen, in sportlich schweren Zeiten stark zu bleiben. Lange Zeit galt er beim FC St. Pauli als Fehleinkauf, in nahezu jeder Transferperiode wurde über einen Abschied spekuliert. Letztlich war es Trainer Ewald Lienen, der von Beginn seiner Amtszeit an große Stücke auf Nehrig hielt und die Wichtigkeit des Kämpfers hervorhob. Mittlerweile hat sich das Bild geändert. Wenn Nehrig bei Heimspielen ausgewechselt wird, gibt es stehende Ovationen. „Es ist schön und tut dem Selbstvertrauen gut“, gibt Nehrig ohne Umschweife zu: „Es gibt Zeiten, da bist du der absolute Buhmann. Mal bist du der absolute König. Ein paar Wochen oder Monate später bist du wieder das größte Arschloch, das auf dem Platz herumsteht. So ist das im Fußball.“

Emotionaler Motor des Kiezclubs

Es ist diese nüchtern-sachliche Blickweise, die Nehrig in den Abstiegskampf bei St. Pauli eingebracht hat. Nie den Blick für die aktuelle Situation verlieren, nie in Extreme verfallen – weder im Erfolgsfall noch in der Krise. Deshalb tritt Nehrig auch bewusst auf die Euphoriebremse, was die Bewertung der Saison angeht. „Wir haben brutalst für den Klassenerhalt gearbeitet und brutale Kräfte entwickeln müssen, um unser Ziel erreichen zu können. Wenn dann einer kommt und sagt: Ihr habt das Zeug zu mehr, dann sag ich: Ja, wir haben aber auch das Zeug zu weniger“, sagt Nehrig: „Wenn jetzt einer sagt, dass wir nach der Hinrunde in der kommenden Spielzeit nach oben schielen müssen, frag ich ihn, ob er noch ganz dicht ist“, so der Defensivakteur. „Ich gebe unserer Saison die Note 3,5. Eine miserable Hinrunde und eine gute zweite Saisonhälfte.“

Doch auch der Führungsspieler kann nicht verhehlen, dass eine gewisse Genugtuung ob des Klassenerhalts vorhanden ist. Im Winter wurde St. Pauli von vielen Experten bereits sportlich beerdigt. „Viele, die dich im Winter für eine Pflaume gehalten haben, kommen nun an und sagen: Wir haben immer gewusst, dass ihr es schafft“, erklärt Nehrig, der nun voller Vorfreude in die verbleibenden zwei Saisonspiele geht. „Wir haben richtig Bock auf die Spiele, wollen Spaß haben und am Ende einen krönenden Abschluss der Rückrunde mit unseren Fans feiern.“

FC St. Pauli: Heerwagen – Hornschuh, Sobiech, Gonther, Buballa – Nehrig, Buchtmann – Sahin, Möller Daehli, Sobota – Bouhaddouz. Greuther Fürth: Megyeri – Caligiuri, Franke, Gießelmann – Hofmann, Gjasula, Schad, Pinter – Bolly, Zulj, Steininger.