Hamburg. Während die Konkurrenz im Abstiegskampf punktet, erkämpft sich der HSV am Sonntagnachmittag lediglich ein schwaches 0:0 gegen Mainz

Henrik Jacobs

Eine halbe Stunde war das 0:0 zwischen dem HSV und Mainz 05 alt, als Jens Todt am späten Sonntagnachmittag noch einmal so richtig ins Schwitzen geriet. Hamburgs Sportchef lief der Schweiß über die Stirn, ehe sich ein hilfsbereiter TV-Redakteur im Bauch des Volksparkstadions erbarmte und Todt ein hervorgekramtes Taschentuch reichte. „Das grelle Scheinwerferlicht“, sagte der Manager entschuldigend, als er sein Sakko auszog und sich das Gesicht abtupfte.

Für echte Schweißausbrüche hatten die vorangegangenen 92 Minuten dagegen kaum gesorgt. Null Tore, kaum Chancen, null Fußball – so könnte man die zuvor als „Sechspunktespiel“ deklarierte Partie in gerade einmal sechs Worten zusammenfassen. „Die nötige Sicherheit im Spiel nach vorne hat gefehlt. Und trotzdem war das Ganze für mich ein erster Schritt nach vorne. Einer von drei notwendigen Schritten“, gönnte sich Todt für die Analyse des buchstäblichen Abstiegskampfes noch ein paar mehr Worte. „Nach dem Auftritt gegen Augsburg war es auch nötig, dass wir uns wieder als Mannschaft präsentieren, die sich zerreißt.“

Tatsächlich waren sich nach dem Abstiegsgipfel zwischen dem HSV (Platz 16) und Mainz (Platz 15) schnell alle Beteiligten einig, dass die 53.915 Zuschauer nun wahrlich „keinen Fußball-Leckerbissen“ (Trainer Markus Gisdol) geboten bekommen hatten. „Dieses Spiel kannst du nicht mit normalen Maßstäben bewerten“, sagte der HSV-Coach, der noch einmal auf die Extremsituation hinwies. „Das sind doch alles junge Burschen. Viele Normalsterbliche würden sich in so einer Situation die Beine brechen, wenn sie nur über den Platz laufen würden. Wir alle wollen schönen Fußball sehen. Aber dafür ist gerade nicht der richtige Zeitpunkt.“ Gisdol atmete einmal tief durch und schaute vom Podium in den voll besetzten Presseraum. „Man darf nicht vergessen, dass wir uns in einer außergewöhnlichen Situation befinden.“

Wie außergewöhnlich (und auch verstörend) die Situation des wankenden Bundesliga-Dinos kurz vor dem Saisonende ist, konnte man vor allem in den Tagen vor dem torlosen Gruselkick im Volkspark beobachten. Ein eilig einberufenes Kurztrainingslager, drei suspendierte Profis und die eine oder andere Kontroverse über die Gründe für den desolaten 0:4-Auftritt in der Vorwoche beim FC Augsburg gab es im traditionell reichhaltigen HSV-Krisenangebot. Ob denn die Maßnahmen der vergangenen Tage gefruchtet hätten, wurde Sportchef Todt gefragt, als das Taschentuch seinen Dienst erfüllt hatte. „Wir haben dokumentiert, dass wir einen großen Zusammenhalt haben“, antwortete der Manager und floskelte: „Wir sind im Trainingslager enger zusammengerückt.“

Ganz so eng zusammengerückt, wie es manch ein HSV-Verantwortlicher gerne gehabt hätte, waren die Hamburger im Trainingslager dann möglicherweise aber doch nicht. So räumte Routinier Aaron Hunt nach dem schwachen 0:0 gegen Mainz mit dem Gerücht auf, dass es vor allem die Führungsspieler waren, die sich für die viel diskutierte Suspendierung von Ashton Götz, Nabil Bahoui und Johan Djourou, der das Remis im Fanblock 25A auf der Nordtribüne verfolgte, starkgemacht hätten.

„Das war eine Entscheidung des Trainers“, stellte Hunt klar. „Kein Spieler hat da das Recht, eine Entscheidung zu fällen. Der Trainer hat so entschieden – und das muss man respektieren und akzeptieren.“

Überraschend entschieden hatte Gisdol bereits im Trainingslager in Rotenburg auch, im Alles-oder-nichts-Spiel gegen Mainz auf den gerade einmal 18 Jahre alten Schweizer Vasilije Janjicic (siehe Bericht unten) im zentralen Mittelfeld zu setzen. „Er hat sich im Training extrem aufgedrängt. Ich habe auch gemerkt, dass die Jungs großes Vertrauen in ihn setzen“, erklärte der Fußballlehrer seinen unerwarteten Schachzug. Ob eine Fortsetzung am kommenden Sonnabend beim nächsten Abstiegsfinale auf Schalke (nach dem 0:2 in Freiburg kaum noch mit Europacup-Hoffnungen) folgen wird, ließ Gisdol allerdings genauso offen wie die Möglichkeit eines weiteren Kurztrainingslagers. „Die Tage in Rotenburg haben der Mannschaft gutgetan. Ob wir das aber noch mal machen, müssen wir erst noch einmal besprechen.“

Redebedarf dürfte es in den letzten beiden Wochen der regulären Bundesligasaison nach den Ergebnissen des Wochenendes ohnehin mehr als genug geben. Weil mit Augsburg (1:1 in Mönchengladbach), Ingolstadt (1:1 gegen Leverkusen), Wolfsburg (2:0 in Frankfurt) und eben Mainz sämtliche Abstiegskonkurrenten des HSV punkteten, müssen die Hamburger sorgenvoll sowohl nach oben als auch nach unten schauen.

Nur vier Punkte Vorsprung auf Ingolstadt und einen direkten Abstiegsrang (und eine deutlich schlechtere Tordifferenz) sowie zwei Punkte Rückstand auf Augsburg und Wolfsburg geben gleich doppelten Grund zur Beunruhigung. „Wir dürfen jetzt nicht an die Relegation oder die Tabelle denken. Das muss man ausblenden“, mahnte Dennis Diekmeier, der mit mittlerweile vier Relegationsteilnahmen wissen dürfte, wovon er spricht.

Wer seinen Mai trotz Diekmeiers Warnung etwas vorausschauender planen möchte, der sei erneut daran erinnert, dass die DFL die Relegationstermine erst kürzlich bekannt gegeben hat: Am 25. und 29. Mai wird geschwitzt – und zwar richtig.