London/Hamburg. Im Mega-Boxkampf vor 90.000 Fans in Wembley zeigt Wladimir Klitschko gegen Weltmeister Anthony Joshua eine seiner besten Leistungen

Am Montagabend kehrte der geschlagene Champion nach Hamburg zurück. Die knapp zwei Tage nach seiner Niederlage gegen Anthony Joshua hatte Wladimir Klitschko genutzt, um mit seiner Verlobten Hayden Panettiere (27) in London ein wenig auszuspannen. An diesem Dienstag wird er im Büro der Klitschko Management Group (KMG) an der Großen Elbstraße erwartet. Dass der 41 Jahre alte Ukrainer den Mitarbeitern dann schon Neuigkeiten über seine Zukunftspläne verraten wird, ist unwahrscheinlich. „Ich denke, dass er sich ein paar Wochen Zeit lassen wird, um gemeinsam mit seinem Cheftrainer Johnathon Banks zu entscheiden, wie es weitergehen soll“, sagte Manager Bernd Bönte.

Emotionalen Abstand zu bekommen, um die richtige Entscheidung für die Zukunft zu treffen, ist nach dem Spektakel vor 90.000 Fans im ausverkauften Wembley-Stadion und im Schnitt 9,59 Millionen bei RTL auch die einzig richtige Vorgehensweise. Das, was weltweit als einer der größten Schwergewichts-Boxkämpfe aller Zeiten gefeiert wird, gilt es auch für einen so erfahrenen Sportler wie Klitschko zu verarbeiten. Von einem „Schwergewichtskampf für die Ewigkeit“ schrieb der „Daily Telegraph“. Der „Guardian“ hatte „eine epische Wembley-Schlacht“ gesehen. Und Dan Raphael, der wichtigste US-Boxexperte vom Multimediakanal ESPN, bezeichnete das Duell der beiden Olympiasieger (Klitschko 1996, Joshua 2012) als „den besten Schwergewichtskampf seit der Schlacht zwischen Lennox Lewis und Wladimirs Bruder Vitali im Juni 2003“.

Dass Klitschko in die Jubelarien schwerlich einstimmen konnte, ist verständlich. Zu tief saß bei dem Wahl-Hamburger und seinem Team die Enttäuschung darüber, die große Chance, sich Joshuas IBF-Titel und dazu den vakanten WBA-Superchampion-Gürtel zu sichern, verpasst zu haben. Besonders seine Passivität, nachdem er in Runde sechs den 14 Jahre jüngeren Briten mit einer krachenden Rechten auf die Bretter geschickt hatte, machte dem Kämpfer, seinem Trainer und dem Bruder zu schaffen. Statt in den folgenden Runden den endgültigen K. o. zu erzwingen, verlegte sich Klitschko zu sehr auf sicheres Ausboxen des Gegners. „Da hätte ich vielleicht etwas mehr machen müssen“, sagte er selbstkritisch. Vitali (45) erklärte, man sei überrascht gewesen, dass Joshua in den späten Runden noch konditionell zuzusetzen gehabt hatte. „Wir hatten geglaubt, dass er wegen seiner großen Muskeln abbauen würde, je länger der Kampf dauert“, sagte er.

Dennoch waren die Lobeshymnen, die auf Klitschkos Leistung angestimmt wurden, berechtigt. Nach 18 K.-o.-Siegen in seinen ersten 18 Profikämpfen hatte Shootingstar Joshua erstmals einen Gegner vor den Fäusten, der nicht nur wegen seiner mit 1,98 Meter exakt gleichen Körperlänge auf Augenhöhe agierte. Klitschko, der seine drei WM-Titel im November 2015 nach neuneinhalb Jahren Regentschaft an Joshuas Landsmann Tyson Fury verloren und seitdem nicht geboxt hatte, schaffte es, den Altersunterschied zum Randaspekt zu degradieren. Er zeigte in seinem 29. WM-Kampf seine wohl spektakulärste Leistung und trug damit entscheidend dazu bei, dass der Megakampf von seinen Vorschusslorbeeren nicht überwuchert wurde.

Zu bestaunen war ein Kampf, in dem das Geschehen hin- und herwogte wie ein Schiff bei Sturm auf hoher See. In den ersten vier Runden war Klitschkos linke Führhand, auf der er als Weltmeister ganze Kämpfe aufgebaut hatte, kein Faktor, weil es Joshua durch kluges Distanzhalten gelang, dem besten Jab des Schwergewichts seinen Schrecken zu nehmen. Und als in Runde fünf Klitschko nach einer klassischen Links-Rechts-Kombinationssalve erstmals zu Boden ging, glaubten viele bereits an ein schnelles Ende.

Klitschko jedoch kam zurück, traf seinerseits Joshua schwer, sodass in der Pause der Brite härter gezeichnet wirkte als der Ukrainer. Und spätestens nach dem Niederschlag in Runde sechs schien sich das Geschehen gedreht zu haben. „Ich war überrascht, dass er wieder aufgestanden ist. Das hätten viele andere nicht geschafft“, gab Klitschko nach dem Kampf unumwunden zu.

Weil er im Anschluss seine Rechte weniger effektiv einsetzte, konnte Jo­shua Kraft tanken – was sich rächen sollte. Zu Beginn der elften Runde schüttelte ein klassischer Aufwärtshaken Joshuas den anrennenden Herausforderer dermaßen durch, dass dieser sich davon nicht wieder vollständig erholen konnte. Zweimal musste Klitschko in der Folge angezählt werden, rappelte sich jedoch beide Male wieder auf und widerlegte damit eindrucksvoll den von seinen Kritikern verbreiteten Unsinn vom Glaskinn, der schon seit seinem Duell mit dem Nigerianer Samuel Peter 2005 in Atlantic City, das er trotz vierer Niederschläge klar nach Punkten gewann, nicht mehr stimmte, sich aber dennoch hartnäckig gehalten hat.

Als jedoch ein weiterer Schlaghagel an Klitschkos Kopf niederging, entschied sich Ringrichter David Fields (USA) 37 Sekunden vor Ende von Runde elf zum Abbruch. Umstritten, aber vertretbar, auch wenn Klitschko bekannte, er sei klar im Kopf gewesen und hätte gern weitergekämpft. Zum Zeitpunkt des Abbruchs hatten zwei Punktrichter Joshua zwei respektive drei Runden vorn und der dritte Klitschko um zwei Runden, sodass ein Mehrheitsentscheid für Joshua wahrscheinlich gewesen wäre. 355 Schläge mit 107 Treffern standen für Joshua zu Buche, 257 Schläge mit 94 Treffern für Klitschko.

„Ich wünschte, ich hätte gewonnen. Aber Anthony hat ein großes Herz gezeigt, ist von dem Niederschlag zurückgekommen und hat verdient gewonnen“, sagte der Unterlegene, der Joshua 2014 in sein Trainingslager nach Österreich eingeladen hatte. „Seitdem bin ich ein großer Fan von ihm. Ich habe zwar heute bewiesen, dass er verwundbar ist, aber wenn er daran arbeitet und sich verbessert, dann hat er eine richtig große Zukunft vor sich.“

Rückkampf könnte im Herbst in Cardiff stattfinden

Ob diese Zukunft den vertraglich zugesicherten, sofortigen Rückkampf beinhaltet, war die einzige Frage, die unbeantwortet blieb. „Wenn er es möchte, bin ich bereit“, sagte Joshua, der allerdings eher lukrative Kämpfe gegen britische Rivalen wie Fury oder Tony Bellew, vielleicht auch eine Titelvereinigung mit WBC-Champion Deontay Wilder (USA) oder WBO-Weltmeister Joseph Parker (Neuseeland) anpeilen dürfte. Sein Promoter Eddie Hearn erklärte am Montag allerdings, man rechne mit dem Rückkampf. Dieser könnte im Herbst im Millenium Stadium von Cardiff in
Wales (74.500 Plätze) stattfinden. Nach Deutschland würde Joshua dagegen aus finanziellen Gründen nicht gehen.

Wladimir Klitschko bekräftigte, dass er sich für seine Entscheidung Zeit nehmen wolle. „Klar ist, dass ich nicht gegen irgendeinen anderen Gegner antrete. Wenn ich noch einen Kampf mache, dann nur das Rematch“, sagte er.