Sotschi. Mercedes-Pilot Valtteri Bottas fährt nach seinem Sieg im Großen Preis von Russland um die WM mit

Geduscht und in Freizeitklamotten war Lewis Hamilton längst bereit für die Abreise vom Ort seiner Niederlage, als der Mann des Tages noch immer Glückwünsche entgegennahm. Nur langsam konnte sich Valtteri Bottas durch das Fahrerlager von Sotschi bewegen, eine ganze Schar Gratulanten klebte förmlich an dem Finnen. Irgendwann tauchte auch Niki Lauda auf, er dankte Bottas noch einmal stellvertretend für den gesamten Mercedes-Rennstall. „Der erste Sieg ist immer der schwierigste, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen“, erklärte Lauda, Aufsichtsratsboss des Werksteams: „Valtteri hat gezeigt, dass er gewinnen kann. Er ist ein sehr guter Ersatz für Nico Rosberg.“

Mit seinem Premieren-Erfolg in der Formel 1, den 4,82 Millionen Zuschauer bei RTL live sahen (Marktanteil: 34,9 Prozent), hatte Bottas ein Signal gesandt: Als Mercedes beim Großen Preis von Russland ein Debakel gegen die immer stärker werdenden Ferrari drohte, war nicht Superstar Hamilton der Retter der Silberpfeile – sondern Bottas, der Neue, die vermeintliche Nummer zwei. Spätestens nach vier Rennen der Saison ist damit klar, dass Bottas kein Wasserträger ist, er will um den Titel kämpfen. Und er kann es. „Ich habe immer an meine Fähigkeiten geglaubt“, sagte der 27-Jährige nach seinem Sieg vor Sebastian Vettel, bei dem Hamilton Vierter wurde: „Wenn du denkst, dass du nicht gewinnen kannst, solltest du zu Hause bleiben.“

Für Hamilton wird die Saison deutlich komplizierter, als er es vor fünf Monaten nach dem Rücktritt von Weltmeister Rosberg annehmen durfte. Als hätte er nicht genug Probleme mit WM-Spitzenreiter Vettel: Plötzlich steht da auf der anderen Seite der Garage wieder ein höflicher, zurückhaltender Teamkollege, und wieder entwickelt dieser sich vom eher blassen Außenseiter zum Titelkonkurrenten.

Hamilton und Bottas arbeiten bislang gut zusammen

Die britische Presse reagierte mit zahlreichen Weckrufen in Richtung des englischen Vizeweltmeisters. „Valtteri Bottas ist nicht Hamiltons Lehrling“, schrieb der „Telegraph“, der Finne beschere seinem Teamrivalen „einen ganzen Haufen Probleme“, hieß es bei der „Daily Mail“. Für die BBC hat Bottas sich in Russland „als wichtige Figur in dieser faszinierenden Formel-1-Saison“ in Stellung gebracht, Hamilton („Platz vier ist nicht das Ende der Welt“) sei in Sotschi dagegen beinahe unsichtbar gewesen. Am härtesten gingen die Spanier mit dem dreimaligen Champion ins Gericht. „Hamilton faulenzt im Niemandsland herum“, stellte „As“ fest. Hinter Spitzenreiter Vettel (86 Punkte) liegen Hamilton (73) und Bottas (63) nur zehn Zähler auseinander. Ähnlich eng ging es jahrelang zwischen den Jugendkumpels Rosberg und Hamilton zu, und dieses Duell eskalierte auf und abseits der Strecke immer wieder – was zu einer Belastung für das gesamte Team wurde.

Ähnliches wird in diesem Jahr nicht passieren, glaubt die Mercedes-Führung. Das Duell sei nicht „heiß“, sagt Lauda, das liege auch an Bottas’ Charakter: „Der Finne redet nicht viel. Und beide sind Profis, sie respektieren sich.“ Auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff glaubt nicht, dass der Titelkampf „einen Einfluss auf die Beziehung der beiden haben wird, wie zwischen Nico und Lewis. Das ist komplett anders.“ Wolff fühlt sich bisher in seiner Einschätzung der Neuverpflichtung bestätigt. „Es ist aber verrückt, dass nach drei Rennen über Valtteris Position im Team spekuliert wurde.“ Bottas ist nun ein Titelkandidat. Und ein Problem für Lewis Hamilton.

Vettel, der von der Pole-Position startete, in der ersten Kurve aber die Führung an Bottas verlor, fand nach seinem Wutausbruch schnell die Beherrschung. Für schlechte Laune vor der Abreise aus Sotschi gab es auch keinen Grund. Dass Bottas zum Konkurrenten Hamiltons aufgestiegen ist, kann für Ferrari von Vorteil sein. Entsprechend gönnerhaft präsentierte sich der Deutsche nach seinem zweiten Platz, obwohl er auf der Schlussrunde wegen einer zeitraubenden Überrundung des Brasilianers Felipe Massa sauer war: „Was zur Hölle war das?“

Schon einmal gewann ein Ferrari-Fahrer die Weltmeisterschaft, weil zwei Teamkollegen sich gegenseitig die Punkte wegnahmen. Zehn Jahre ist es her, der triumphierende Fahrer hieß Kimi Räikkönen, einer der beiden Geschlagenen hieß Hamilton, damals im McLaren. Nur, dass Vettel, der bereits viermalige Weltmeister, in dieser Saison vermutlich noch deutlich stärker ist als es Räikkönen damals war.

Am 14. Mai dreht die Formel 1 in Barcelona das nächste Mal ihre Runden. „Barcelona wird ein ganz anderes Rennen“, sagt Vettel. „Wir haben nun fast zwei Wochen Zeit, um zu schauen, was wir bis jetzt wie gemacht haben. Der Speed war in Sotschi vorhanden, die Balance des Autos ging im ersten Stint aber etwas verloren. Es gibt Dinge, die wir hätten besser machen können. Aber ich freue mich grundsätzlich drauf, wir haben ein starkes Auto und ein starkes Team.“

Ein Verlierer des Rennwochenendes war einmal mehr Fernando Alonso. Noch vor dem Rennstart verweigerte der Honda-Antrieb im McLaren des Spaniers den Dienst, mal wieder. Der zweimalige Weltmeister musste das Auto stehen lassen, mit dem Helm auf dem Kopf schlenderte er zurück in die Box. „Das ist traurig“, sagte Alonso, der angesichts der Aussichtslosigkeit seines Projektes bei McLaren inzwischen zu resignieren scheint. Er gönnt sich deshalb demnächst eine kleine Auszeit von der Formel 1: Wenn die Kollegen am 28. Mai in Monaco fahren, startet Alonso bei den legendären 500 Meilen von Indianapolis.