London. An diesem Sonnabend boxen Wladimir Klitschko und Englands Weltmeister Anthony Joshua vor 90.000 Fans in Wembley.

An diesem Donnerstag wird das Wembleystadion vom Fußballtempel zur Boxarena. 11.000 Klappsitze werden im Innenraum montiert, damit am Sonnabend (23 Uhr MEZ), wenn Englands Schwergewichtschampion Anthony Joshua (27) und der langjährige Dominator Wladimir Klitschko (41) dort in den von einer Zeltplane überdachten Ring steigen, die Rekordzahl von 90.000 Fans dabei sein können. Mehr Menschen haben auf der britischen Insel noch nie live einen Boxkampf verfolgt.

Für den Ukrainer und Wahl-Hamburger Klitschko ist es im 69. Profikampf (64 Siege, vier Niederlagen) bereits der achte Freiluftauftritt, aber die größte Kulisse, vor der er jemals kämpfen durfte. Joshua dagegen hat in seinen 18 Profikämpfen, die er allesamt vorzeitig gewinnen konnte, nur einmal in einem Stadion geboxt. Beide sind überzeugt davon, dass die Atmosphäre sie eher anspornen als einschüchtern wird.

Klitschko boxte schon siebenmal im Stadion

Wie es wirklich kommt, werden viele Millionen Fans in mehr als 150 Ländern weltweit live vor dem Fernseher erleben. In Deutschland hofft RTL, dass die Klitschko-Rekordquote von 15,5 Millionen Zuschauern, aufgestellt im Juli 2011 in Hamburg beim Duell mit Joshuas Landsmann David Haye, ins Wanken gerät. In England müssen die Fans 19,95 Pfund zahlen, um bei Sky in der ersten Reihe sitzen zu können. Und in den USA übertragen die beiden Pay-TV-Giganten HBO und Showtime erstmals einen Klitschko-Kampf gleichzeitig.

Fakten, die den Showdown zu einem Rekordkampf für die Geschichtsbücher machen können. Dennoch gab es in der Faustkampfhistorie noch besser besuchte Kämpfe – einen davon sogar in Hamburg. Das Abendblatt blickt zurück auf diese Höhepunkte der Sportgeschichte, die allerdings mit der sportlichen Klasse des Duells zweier Olympiasieger (Klitschko 1996, Joshua 2012) nur bedingt mithalten dürften.

Chavez schlug Haugen zu Boden

Den offiziellen Zuschauer-Weltrekord bei einem WM-Kampf hält der Auftritt von Mexikos Volksheld Julio Cesar Chavez am 20. Februar 1993 im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt. 132.247 Menschen wollten dabei sein, als der damalige WBC-Champion im Halbweltergewicht gegen den US-Amerikaner Greg Haugen in den Ring stieg. Haugen hatte die Präsidentschaft Donald Trumps vorempfunden, als er vor dem Kampf tönte, Chavez habe seine 84 Siege gegen „Taxifahrer aus Tijuana“ zusammengeboxt. Außerdem zweifelte er an, dass der Rekord zustande kommen würde. „Es gibt doch gar keine 130.000 Mexikaner, die sich ein Ticket leisten können“, sagte er.

Die 132.247 Menschen, die sich das Ticket leisteten, mussten mit Stacheldraht und einem Graben um den Ring davon abgehalten werden, den überheblichen US-Amerikaner zu lynchen. Das übernahm mit den Fäusten Chavez, der Haugen schon nach Sekunden zu Boden schlug, ihn dann aber noch vier Runden überleben ließ, um in Runde fünf per Knock-out zu siegen. Bis zu seinem Karriereende 2005 schaffte der heute 54-Jährige 107 Siege in 115 Kämpfen.

Im Kampf war Neusel chancenlos

Auf der Dirt-Track-Bahn in Lok­stedt wurden in der Regel Motocrossrennen ausgetragen. Am 26. August 1934 allerdings war das Hamburger Sandoval Schauplatz des publikumsträchtigsten Boxkampfes, den Deutschland jemals erlebt hat. 102.000 Menschen waren dabei, als Schwergewichtsidol Max Schmeling gegen den Bochumer Walter Neusel antrat. Wie groß der Aufruhr in der Stadt war, darüber schrieb das „Hamburger Fremdenblatt“: „Gegen 10 Uhr morgens hatte die Stadt schon ein anderes Gesicht als sonst sonntags. Der Strom der Fremden, die für den Kampf nach Hamburg gereist waren, machte sich bemerkbar.“ Auf der Hoheluftchaussee staute sich zweieinhalb Stunden vor Kampfbeginn der Verkehr.

Im Kampf war Neusel chancenlos, blutete schon nach zwei Runden aus Wunden im Mund, an der Nase und am Auge. In der neunten Runde gab der Westdeutsche schwer gezeichnet auf. Schmeling wurde vom Publikum begeistert gefeiert. In einem Revanchekampf im Mai 1948 unterlag der 2005 im Alter von 99 Jahren verstorbene Volksheld gegen Neusel allerdings nach Punkten.

Zale, der „Mann aus Stahl“

Das Brauereiunternehmen Pabst hatte sich für die Mitglieder des Brüderlichen Adlerordens, einer in Seattle gegründeten Wohltätigkeitsvereinigung Kunstschaffender, etwas ganz Besonderes ausgedacht. Während diese am 16. August 1941 ihren landesweiten Kongress im Juneau Park von Milwaukee abhielten, veranstalteten die findigen Brauer dort eine Boxgala mit sechs Kämpfen, die bei freiem Eintritt besucht werden konnte. So kam es dazu, dass den Hauptkampf im Mittelgewicht zwischen Tony Zale und Billy Pryor 135.132 Menschen live miterlebten – mehr als weltweit jemals zuvor oder danach.

Zale, der „Mann aus Stahl“ genannt wurde, hatte in seinem Landsmann einen zähen Kontrahenten, der aber im Kampfverlauf mehrmals zu Boden musste, ehe das Duell von Ringrichter (und Ex-Weltmeister) Jack Dempsey in der neunten Runde abgebrochen wurde. Drei Monate später gewann Zale in einem Sensationskampf gegen Georgie Abrams zwei WM-Titel. Insgesamt konnte er in seiner Karriere 67 seiner 87 Profifights gewinnen. 1997 starb er im Alter von 83 Jahren.

Was das Verbreiten von Falschnachrichten angeht, so haben wir gelernt, sind die Russen eine der führenden Nationen. Auch am Boxen sind sie durchaus interessiert, deshalb überrascht es nicht, dass es ein russischer Promoter war, der am 24. August 2013 einen neuen Zuschauer-Weltrekord verkündete. Zwischen 170.000 und mehr als 200.000 Menschen sollen laut Wlad Hrunov auf der Open-Air-Motorradshow in Wolgograd zugeschaut haben, wie Mittelgewichtler Dmitri Chudinov den Venezolaner Jorge Navarro in der zweiten Runde ausknockte. Ringrichter war der Deutsche Ingo Barrabas.

Da allerdings nicht offiziell festzustellen war, ob die Menschen vorrangig wegen des Boxens gekommen waren oder doch, um ihrer mindestens ebenso großen Zuneigung zu schnellen Zweirädern zu frönen, hat der Rekord keinen Eintrag in die entsprechenden Annalen erhalten. Ein Jahr später wiederholte man das Spektakel auf einer weiteren Motorradshow in Sewastopol. Dort brauchte Chudinov vor erneut mehr als 100.000 Fans eine Runde mehr, um den Franzosen Mehdi Bouadla zu stoppen.

80.000 Menschen sehen Froch gegen Groves II

Die Briten lieben Boxen, und deshalb gibt es eine Reihe an großen Kämpfen auf der Insel, die es wert wären, hier aufgezählt zu werden. Stellvertretend sei die monumentale Schlacht zwischen den Erzrivalen Carl Froch und George Groves genannt, die am 31. Mai 2014 die bisherige Höchstzahl von 80.000 Fans ins Londoner Wembleystadion zog.

IBF/WBA-Champion Froch, für seine extrovertierte Art von seinen Anhängern geliebt und von allen anderen als Großmaul verachtet, hatte das erste Duell zwischen den beiden im November 2013 durch technischen K. o. in Runde neun gewonnen, war aber im ersten Durchgang am Boden gewesen und hatte nicht überzeugt.

Im mit großer Spannung erwarteten Rückkampf zeigte die „Kobra“ allerdings Klasse und beendete den Kampf in Runde acht mit einer brutalen Rechten zum Kopf von Groves. Nach diesem Triumph beendete der 39-Jährige seine Karriere – und hat trotz einiger Gerüchte bislang auch noch kein Comeback gewagt. Groves dagegen darf am 27. Mai in Sheffield gegen den Russen Fedor Chudinov um den WBA-WM-Titel im Supermittelgewicht kämpfen.