Hamburg. Der Kenianer Eliud Kipchoge, Sieger 2013 in Hamburg, soll Anfang Mai auf der Formel-1-Strecke in Monza in eine neue Dimension laufen.

Auch am Tag nach seinem Spurtsieg beim 32. Haspa-Mara­thon schaute Tsegaye Mekonnen (21) vom Hotel Radisson Blu am Dammtorbahnhof traurig in den Hamburger Himmel. „Die Strecke ist schnell, die Zuschauer sind fantastisch, doch am Sonntag war bei diesem Wetter, diesem Wind einfach keine bessere Zeit möglich“, klagte der junge Äthiopier, der nach 2:07:26 Stunden ins Ziel am Fernsehturm gekommen und 2:54 Minuten über seiner Bestzeit geblieben war.

Ähnlich Widriges dürfte Eliud Kipchoge demnächst nicht passieren. Wenn der Olympiasieger von Rio de Janeiro 2016 Anfang Mai im italienischen Monza die 42,195 Kilometer in Angriff nimmt, werden ideale Bedingungen herrschen. So viel ist heute schon sicher.

Denn es ist nicht irgendein Marathon, den der 32 Jahre alte Kenianer auf der legendären Formel-1-Strecke bestreiten wird, es geht um ein höchst ehrgeiziges Marketingprojekt seines US-Ausrüsters Nike. „Breaking2“ heißt es und verlangt von Kipchoge nicht weniger, als dass er als erster Mensch den Marathon unter zwei Stunden rennen soll: 21,1 km/h im Durchschnitt, etwa 2:51 Minuten für jeden Kilometer. Es wäre der Lauf in eine neue Dimension menschlicher Leistungsfähigkeit.

Bisherige Bestzeit steht bei 2:03:05 Stunden

Der Weltrekord seines Landsmannes Dennis Kimetto, 2014 in Berlin gelaufen, steht bei 2:02:57 Stunden. Kipchoges bisherige Bestzeit ist acht Sekunden langsamer. Um den Weltrekord um drei Minuten zu verbessern, brauchten die schnellsten Marathonläufer der Welt zuletzt 16 Jahre, von 1998 bis 2014. Jetzt soll das an einem Tag geschehen, an welchem steht noch nicht fest. „Irgendwann zwischen dem 2. und 14. Mai, wenn die Bedingungen perfekt sind“, sagt Kipchoges Manager Jurrie van der Velden (33). Der Niederländer organisiert zugleich das Teilnehmerfeld des Haspa-Marathons (siehe Artikel unten).

Nichts dem Zufall überlassen

Nike hat nichts dem Zufall überlassen, zig Millionen Dollar investiert, eine Million Dollar als Prämie ausgesetzt. Ein Expertenteam von Medizinern, Physiologen, Psychologen, Ingenieuren, Biomechanikern, Produktentwicklern, Sport- und Ernährungswissen­schaftlern arbeitet seit mehr als zwei Jahren an der Umsetzung des Plans. Erste Ergebnisse sind ein effizienterer Laufschuh, der vier Prozent Leistungssteigerung verspricht, und Erkenntnisse darüber, wann und womit sich Marathonis unterwegs ernähren sollten, was ihnen frische Kräfte verleiht, ihnen aber nicht schwer im Magen liegt.

Mit Kipchoge gehen der 35 Jahre alte Halbmarathon-Weltrekordler Zersenay Tadese (58:23 Minuten) aus Eri­trea und der Äthiopier Lelisa Desisa (27), 2013 Gewinner des Boston-Marathons, ins Rennen, das in Monza auf dem inneren, 2,4 Kilometer langen Formel-1-Kurs stattfinden wird. „Dieser Streckenabschnitt ist windgeschützt und komplett flach“, sagt van der Velden. Folgen die Läufer genau der aufgezeichneten weißen Linie, verschenken sie, anders als bei gewöhnlichen Stadtmarathons, keinen Zentimeter.

Zeitmessanlage als Windschutz

An alles ist gedacht. Vorweg fährt ein Elektroauto der US-Marke Tesla, auf dem eine überdimensionale Zeitmessanlage montiert ist, die als Windschutz dient. Zudem sollen ausgesuchte Pacemaker das Rekordtempo verlässlich vorgeben. Beim Probelauf Anfang März, einem Halbmarathon, formierten sich die Schrittmacher in einer Raute, Kipchoge, Tadese und Desisa liefen am Ende des Feldes.

Mit dem Resultat waren hinterher alle zufrieden. Kipchoge kam in 59:17 Minuten, einer Weltklassezeit, als Erster ins Ziel, wirkte dabei erstaunlich frisch. „Ich war zu keiner Zeit am Limit, das waren bloß 60 Prozent“, meinte er. Van der Velden lächelt milde, als er diese Aussage hört. „Ein paar Prozent mehr waren es schon, aber bereits bei seinem Marathondebüt in Hamburg ist Eliud den zweiten Halbmarathon schneller gelaufen als den ersten.“

In Kenia unterstützen ihn alle

Das war 2013, als Kipchoge mit 2:05:30 Stunden den bis heute gültigen Streckenrekord aufstellte. In Hamburg ist der Kenianer, zuvor ein Weltklasseläufer über 5000 und 10.000 Meter, erst zum Marathon-Mann geworden. Seinem Erfolg bei der Premiere folgten in den nächsten sieben Rennen sechs Siege. Allein in Berlin 2013 musste er sich geschlagen geben, wurde Zweiter, weil nach wenigen Kilometern die Einlage seines rechten Schuhs heraushing.

Kipchoge bereitet sich im Läufer-Eldorado Eldoret im kenianischen Hochland auf die Herausforderung vor. Alle unterstützen ihn dort, selbst Konkurrenten wie Stephen Kiprotich, Marathon-Olympiasieger 2012, -Weltmeister 2013, der am Sonntag in Hamburg Zweiter wurde. „Schafft er diesen Fabelrekord, profitieren wir in den nächsten Jahren doch alle davon“, sagt Kiprotich.

„Er ist der Europäer unter den Afrikanern“,

Kipchoge, 1,67 Meter groß, 57 Kilo schwer, bringt alle körperlichen Voraussetzungen mit, um Sportgeschichte zu schreiben. „Er hat kräftige Oberschenkel, ist im Kopf sehr klar, fokussiert auf das, was er tut. Er ist der Europäer unter den Afrikanern“, sagt van der Velden. Eine Prognose wagt er dennoch nicht: „Eliud ist sehr schnell, die Strecke ist sehr schnell, es herrschen fast Laborbedingungen, es gibt nicht das übliche Durcheinander im Rennen wie bei normalen Marathonläufen, der Fokus liegt allen auf der Zeit. Aber 1:59:59 Stunden – dagegen ist die Besteigung des Mount Everest fast ein Spaziergang.“

Unklar ist zudem, ob die Zeit auch als Rekord anerkannt wird. Sollten die Schrittmacher während des Rennens getauscht werden, wie beim Probelauf im März geschehen, wäre das ein Verstoß gegen die Regularien des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Offizielle Zeitnehmer sind jedoch vor Ort, eine Jury – und Dopingkontrolleure.