Hamburg. Nach dem 1:2 gegen Darmstadt beginnt das große Zittern von vorn. Der Trainer sieht „gelähmtes“ Team

Er traute sich auf die Strecke. Auf den Parcours mit einigen Steigungen und Gefällen. Kein einfaches Streckenprofil. Doch am Ende war es nur eine kurze Distanz, die Markus Gisdol am Sonntagvormittag mit seinen Spielern zurücklegte. Knappe 30 Minuten durch den Volkspark. Ganz entspanntes Tempo. Nicht zu vergleichen mit den gleichzeitigen Strapazen, die die 15.420 Teilnehmer des Hamburg-Marathon auf sich nahmen. „Das würde ich mir nicht zutrauen“, sagte der HSV-Trainer nach seiner Zielankunft im Erdgeschoss des Volksparkstadions. „Die Bundesliga ist anstrengend genug.“

Am Nachmittag zuvor hatte Gisdols Mannschaft dafür gesorgt, dass der Marathon des HSV auch in dieser Saison ein echter Kraftakt bis zum Ende des 34. Spieltags bleibt. „Du darfst nicht vorher schlapp machen. Du musst bis zum Ende durchhalten“, sagte der Marathon-unerprobte Gisdol über die Endphase der Fußball-Bundesliga. Doch ausgerechnet auf der Zielgeraden der Saison ging dem HSV am Sonnabend die Luft aus. Gegen den bis dahin auswärts noch punktlosen Tabellenletzten Darmstadt 98 verloren die Hamburger mit 1:2 (0:0).

Nach der zweiten Niederlage in Folge beginnt das Nervenspiel des HSV von vorne. Vier Spiele vor Saisonende beträgt der Vorsprung auf den FC Augsburg auf Relegationsrang 16 noch einen Punkt. Am kommenden Sonntag kommt es zum direkten Duell. „In Augsburg geht es um alles“, sagte Lewis Holtby nach der Pleite gegen Darmstadt. „Je näher es Richtung Finale geht, umso brisanter wird es. Für uns geht es jetzt darum, mental stark zu bleiben. Als Team werden wir das schaffen.“

Holtby hatte am Sonnabend mit 13,27 gelaufenen Kilometern mal wieder einen kleinen Marathon absolviert. Doch die Leistung des Mittelfeldrenners war irgendwie symptomatisch für das Problem des HSV. Er wollte viel, er probierte viel, doch mit einem strukturiertem Spiel hatte das Ganze nicht viel zu tun. „Wir haben heute von vorne bis hinten unsere Aufgabe nicht erfüllt“, sagte Holtby. „Manchmal läuft es so. Es bringt jetzt nichts draufzuhauen.“

Sein Trainer sah das offenbar genauso. Bevor sich Gisdol am Sonntag mit seiner Mannschaft in den Wald verabschiedete, hatte er das Darmstadt-Spiel in einer ungewohnt langen Analyse „sachlich und ruhig“ aufgearbeitet. Es war die Ruhe nach der Unruhe. „Wir waren zu ungeduldig und haben uns von der Hektik anstecken lassen“, sagte Gisdol über die Ursachen der ersten Heimniederlage seit dem 5. November. Aytac Sulu (51.) und Felix Platte (53.) entschieden das Spiel per Doppelschlag.

Gisdol hatte eine Woche lang gewarnt vor dem Spiel gegen das abgeschlagene Schlusslicht. Erstmals in diesem Jahr war der HSV als klarer Favorit in ein Spiel gegangen. Eine Aufgabe, mit der die Mannschaft überhaupt nicht zurecht kam. „Wir wussten, dass uns ein Gegner erwartet, der nichts zu verlieren hat und wir selbst so ein Muss-Spiel haben“, sagte Gisdol in seiner Analyse. „Man hat der Mannschaft von der ersten Minute angemerkt, dass sie schwer reingekommen ist. Wir waren irgendwie gelähmt“, sagte Gisdol.

Auf Nachfrage, was das Team gelähmt hatte, sprach der Trainer von einem Kopfproblem. „Das war für uns eine ungewohnte Situation mit dem Muss-Sieg im Hinterkopf. Uns hat die Erfahrung gefehlt gegen so einen Gegner.“ Gisdol hatte auf den Plan gesetzt, die Darmstädter so lange unter Druck zu setzen, bis der Ball irgendwie über die Linie geht. „Wir wussten, dass Darmstadt 70 Prozent der Gegentore in der zweiten Halbzeit bekommt.“

Doch in der zweiten Halbzeit ging nur ein Plan auf – und das wer der von Gästetrainer Torsten Frings. „Wir hatten den klaren Plan, Hamburgs Pressing zu überstehen. Dafür haben wir im Training viele Lösungen aufgezeigt“, sagte Frings. Der HSV fand dagegen kein Rezept gegen Darmstadts Konzept. Wie schon so oft in den vergangenen Jahren schaffte es der HSV mal wieder nicht, im eigenen Stadion einen vermeintlich schwächeren Gegner dominant zu bespielen und klare Torchancen zu kreieren. „Wir haben keine Lösungen gefunden“, sagte Kreativspieler Aaron Hunt, der für diese Aufgabe vorgesehen war.

Trainer Gisdol hatte früh erkannt, dass seine Mannschaft zu viele falsche Entscheidungen trifft und hätte auch mit einem Punkt leben können. „Dann musst du es eben auch sauber verteidigen.“ Tat sein Team aber nicht. Zwei individuelle Fehler durch Mergim Mavraj waren zwei Fehler zu viel. Auf der Gegenseite fehlte die Konsequenz im Abschluss bei den wenigen Chancen durch Filip Kostic (14.) und Bobby Wood (65./87.). Zudem haderte der HSV mit zwei nicht gegebenen Strafstößen gegen Gideon Jung und Mavraj. So traf am Ende nur noch Darmstadts Fabian Holland ins eigene Tor (90.+3).

Der HSV verpasste die große Chance, einen großen Schritt Richtung Rettung zu gehen. Das Nervenspiel geht bis zum Ende weiter. „Wir haben in dieser Saison einige Höhen und Tiefen erlebt“, sagt Gisdol über den Marathon bis zum 34. Spieltag. „Und wir sind immer wieder auf den Weg zurückgekommen.“