Hamburg. St. Paulis 0:1 in Aue hat bewiesen, dass Werder-Leihgabe Thy den Torjäger nicht ansatzweise ersetzen kann

Wenn der FC St. Pauli am Dienstag (17.30 Uhr) gegen den SV Sandhausen antritt und versucht, sich für die 0:1-Niederlage vom vergangenen Freitag bei Erzgebirge Aue zu rehabilitieren, wird Aziz Bouhaddouz im Blickpunkt stehen. Nach seinen Länderspiel-Einsätzen für Marokko und seiner Gelbsperre wird St. Paulis mit Abstand bester Torschütze (zehn Saisontreffer) wieder ins Team zurückkehren. „Zum Glück ist Aziz wieder dabei. Er spielt ja für zwei oder drei“, sagte am Sonntag St. Paulis Trainer Ewald Lienen.

Auch wenn der Coach gleich relativierend nachschob, Bouhaddouz werde es nicht allein schaffen, sondern die ganze Mannschaft müsse mit ihm gemeinsam Torchancen erarbeiten, zeigt der Satz, wie groß die Wertschätzung ist. „Ich würde mir wünschen, auch weiter vorn die Auswahl zu haben, die ich in der Abwehr habe“, hatte Lienen schon vor dem Spiel in Aue angesichts der Tatsache gesagt, dass ihm vier leistungsstarke Innenverteidiger (Sobiech, Zier­eis, Gonther, Hornschuh) zur Verfügung standen, er im Angriff aber einzig auf Lennart Thy setzen musste

Obwohl Lienen wusste, dass Thy kein adäquater Ersatz für Bouhaddouz sein würde, schien er nach dem Spiel konsterniert, wie schwach sich die Leihgabe aus Bremen dann tatsächlich auf dem Rasen des Erzgebirgsstadions präsentiert und seine vorerst letzte Chance, sich als Startelf-Kandidat zu empfehlen, verspielt hatte. „Schreiben Sie alles, was Sie gesehen haben. Aber haben Sie Verständnis, dass ich dazu nichts sage“, antwortete Lienen auf die Fragen nach Thys Vorstellung.

Das selbst auferlegte Schweigegelübde Lienens ließ den Schluss zu, dass sich der Trainer davor bewahren wollte, seinen Spieler verbal zu vernichten. Den 25-Jährigen in Schutz nehmen und die Kritik an ihm relativieren, wollte Lienen aber auch nicht. Erst am Sonntag wehrte er sich gegen die Vokabel „unterirdisch“ und sagte, keiner habe das recht, einen seiner Spieler nach einer schlechten Leistung zu beleidigen. Dabei ist der besagte Begriff im Zusammenhang mit einer Niederlage in der Bergbaustadt Aue gar nicht mal so abwegig.

Ursprünglich schien die Verpflichtung Thys auf Leihbasis von Werder Bremen in der Winterpause eine völlig unproblematische Angelegenheit zu sein. Schließlich hatte der Stürmer vier Jahre lang für St. Pauli gespielt und war erst im vergangenen Sommer zurück nach Bremen gewechselt. Er werde im Gegensatz zu den anderen Winterverpflichtungen Johannes Flum und Mats Möller Daehli überhaupt keine Eingewöhnungszeit benötigen und dem Team sofort helfen können – so jedenfalls hatte man sich das bei St. Pauli vorgestellt.

Nach nunmehr drei Monaten seit dem ersten Trainingstag 2017 ist festzustellen, dass Thy trotz der Akzeptanz im Team noch immer wie ein Fremdkörper im Spiel wirkt und nicht annähernd die Leistung erreicht, die er in der vergangenen Saison für St. Pauli an den Tag gelegt hatte. Laufvermögen und Dynamik sind ihm offenbar in dem halben Jahr seines Reservistendaseins in Bremen abhanden gekommen. Bis heute hat er sich diese Qualitäten aber auch in den drei Monaten bei St. Pauli noch nicht wieder erarbeitet. „Er kann nur mit Training und Engagement wieder darauskommen“, sagte Lienen am Freitag dann doch noch. Die Saison ist allerdings in knapp zwei Monaten vorbei – inklusive möglicher Relegationsspiele.

Thys Zwischenbilanz seit dem Winter ist ernüchternd. In nur drei von neun Spielen stand er in der Startelf, nur eines dieser Spiele (2:1 in Braunschweig) gewann St. Pauli. Bei insgesamt acht Einsätzen steuerte Thy weder einen Treffer noch eine Torvorlage bei und kam auf gerade einmal acht Torschüsse – und das als Stürmer. Zum Vergleich: Bouhaddouz hat in bislang 20 Spielen für St. Pauli 68-mal auf das gegnerische Tor geschossen. Thy ist also weit entfernt davon, eine echte Alternative für den Marokkaner zu sein. „Das hatten wir uns anders vorgestellt“, räumte Lienen am Sonntag ein.

In den ersten sieben der verbleibenden acht Spiele darf sich Bouhaddouz jetzt maximal vier Gelbe Karten einhandeln, um nicht im Saisonendspurt noch einmal gesperrt zu werden. Ein Platzverweis ist erst recht tabu, ernsthaft verletzen darf er sich auch nicht. Selten zuvor war der FC St. Pauli so sehr von einem einzigen Spieler abhängig. „Wir werden am Dienstag ein ganz anderes Gesicht als in Aue zeigen“, kündigte Bouhaddouz am Sonntag schon einmal an. Damit meinte er allerdings nicht, dass er selbst anders als sein Kollege Thy aussieht.