Hamburg. Durch Lewis Holtbys erlösendes 2:1 gegen Köln in der Nachspielzeit verlässt der HSV den Relegationsrang und feiert eine rauschende Siegesfeier

Köln gegen den HSV. Nach 93 unterhaltsamen und vor allem umkämpften Minuten stand ein 2:1 auf der Anzeigentafel. Und auch der Name von Torschütze Lewis Holtby blinkte in neonfarbenen Lettern auf. Doch wirklich freuen konnte sich der Torjäger über seinen ersten Treffer für den HSV nicht. Ganz im Gegenteil. Der gebürtige Rheinländer schimpfte wie ein Rohrspatz über den Schiedsrichter, eine angeblich unberechtigte Rote Karte und einen angeblich genauso unberechtigten Elf­meter. 1:2 hatte der HSV trotz seines Treffers in Köln verloren – und Schuld hatte natürlich der parteiische Unparteiische.

Anderthalb Jahre ist diese Episode nun her. Und genauso lange musste eben jener Holtby warten, ehe er den Beweis antreten konnte, dass sich im Fußball auf kurz oder lang eben doch alles ausgleicht. „Ich bin sooo glücklich“, sagte der Rohrspatz von einst am späten Sonnabend, als er noch mal gebeten wurde, sein Tor und das 2:1 Revue passieren zu lassen. Das 2:1 für den HSV, wohl gemerkt. „Das war einfach geil für alle“, sagte der Last-minute-Torschütze, der auch eine knappe halbe Stunde nach dem Schlusspfiff (und ein Bad in der Menge auf der Nordtribüne später) noch Schwierigkeiten hatte, die passenden Worte für das gerade Passierte zu finden: „Das alles ist unbeschreiblich.“

Am Morgen danach stand Trainer Markus Gisdol an fast identischer Stelle wie am Vortag Holtby und erklärte mit dem Vorteil der einen Nacht des Drüberschlafens das Unerklärliche: „Die Mannschaft wollte dieses Tor unbedingt“, sagte also Gisdol. „Wir haben gegen Köln nicht unser bestes Spiel gemacht. Aber die Mannschaft hat verstanden, dass sie auch in den letzten 15 Minuten Spiele gewinnen kann.“

In der letzten Viertelstunde – und gerne auch in der allerletzten Minute der Nachspielzeit. „Als der Ball kam, dachte ich nur: ,Knall drauf!‘ Danach war alles verrückt, und mein Gehirn hat komplett ausgeschaltet“, schilderte Holtby mit aufgerissenen Augen den spielentscheidenden Moment, der das ausverkaufte Volksparkstadion zum Explodieren brachte. „Ich dachte, dass das Stadion auseinanderbricht“, sagte Gisdol kurz nach der Partie. „Man hatte das Gefühl, dass alle Dämme brechen.“

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die aus eher unspektakulär ziemlich spektakulär machen. Am Sonnabend war es eine Flanke von Dennis Diekmeier, die Kölns Torhüter Timo Horn unglücklich zu Filip Kostic faustete. Den Schuss des Serben faustete Horn erneut unglücklich zu Michael Gregoritsch, von wo aus der Ball irgendwie zu Holtby geriet. Und minus mal minus macht bekanntlich plus – zumindest aus Hamburger Sicht.

„Es war nicht unser bestes Spiel. Aber es war ein Sieg des Willens, ein Sieg der Leidenschaft“, sagte Torhüter René Adler nach Holtbys Tor und dessen anschließendem Versuch als Vorsänger in der Fankurve. „Das Mikrofon ist sein Ding“, sagte Adler, der daran erinnerte, dass Holtby auch schon am Wochenende zuvor auf dem Junggesellenabschied des Keepers in Amsterdam Verantwortung (und das Mikrofon) übernommen hatte. „Da war er auch gut dabei und hat den Gruppenführer gemacht. Er hat Kölsche Lieder gesungen und dass wir den FC weghauen. Das ist in der Tat etwas kitschig. Es war eine professionelle Spielvorbereitung.“

Professionell im besten Sinne war es, wie Holtby am Sonnabend schon Minuten vor seinem Treffer die Stimmung im Stadion anheizte. „Für mich war die Szene des Spiels die 87. Minute, als Lewis an der Außenlinie im Vollsprint den Ball weggrätscht. Das war ein brutales Zeichen an die Mannschaft, an die Fans“, sagte Adler. „Das hat gezeigt, dass wir mehr als den Punkt wollten. Das Tor hat sich Lewis erarbeitet.“

Die Geschehnisse im vorangegangnen Rest des Spiels sind schnell erzählt: Nicolai Müller, der sich später schwer verletzte (siehe Seite 22), hatte früh zum 1:0 getroffen (13.), Milos Jojic kurze Zeit später für den FC ausgeglichen (25.). „Mit dem 1:1 wäre ich schon zufrieden gewesen“, gab Gisdol am Tag danach ehrlich zu. Doch der Trainer hatte Glück: Denn seine Mannschaft war es nicht.

„Das Team spürt, dass es noch Power­ hat“, sagte Gisdol, der nun sogar auf eine Überraschung (oder zwei Überraschungen) in der englischen Woche hoffen darf. Am Dienstag trifft der HSV, der erstmals seit dem ersten Spieltag vier Teams hinter sich lassen konnte, auf Borussia Dortmund. Und am Sonnabend empfangen die Hamburger, die seit einer Halbserie im heimischen Volkspark ungeschlagen sind, daheim Überraschungsteam 1899 Hoffenheim. Eine Kuriosität am Rande: Gleich drei Mannschaften stehen mit 17 Punkten in der Rückrundentabelle hinter dem FC Bayern (23 Punkte): Dortmund, Hoffenheim und – natürlich – nur der HSV.

„Ich bin überzeugt, dass wir drinbleiben“, sagte Holtby. Am Sonnabend. Und vor anderthalb Jahren. Die damalige Endplatzierung des HSV: Platz zehn.