Hamburg. Der frühere französische Nationalcoach Philippe Saint-André trainierte die Rugbymänner des FC St. Pauli

Als Philippe Saint-An­dré den Rasenplatz an der Saarlandstraße im Stadtpark verlässt an diesem kalten Hamburger Frühlingsabend, schaut er zum ersten Mal auf seine Uhr – und kann kaum glauben, was er sieht. „Haben wir wirklich fast drei Stunden trainiert?“, fragt er die Umstehenden, um sich zu vergewissern, dass mit seinem Zeitmesser alles in Ordnung ist. Ja, das haben sie. Aber der 49-Jährige ist nicht der einzige Trainingsteilnehmer, der an diesem Abend jegliches Zeitgefühl verloren hat. Weil es ein besonderer Abend war, den die Rugby­abteilung des FC St. Pauli ihren männlichen Leistungsteams bieten konnte.

Saint-André betreibt in Tignes eine Rugby-Akademie

Philippe Saint-André, bekannt auch unter dem Kürzel PSA, ist ein Großer seines Sports. Zwischen 1990 und 1997 bestritt er 69 Länderspiele für Frankreich. „Le Goret“, das Ferkel, so nannten sie den Kapitän damals, weil er mit seinem speziellen Laufstil wie ein wildes Schweinchen die Plätze umpflügte. Zwischen 2012 und 2015 war er Nationaltrainer seines Heimatlandes, in dem Rugby beileibe nicht das Nischen­dasein fristet wie in Deutschland. Dreimal immerhin waren die Franzosen Vizeweltmeister, 1987, 1999 und 2011. PSA coachte Topclubs in England und Frankreich, und weil er in Tignes, auf 2000 Meter Höhe in den französischen Alpen, eine Rugby-Akademie betreibt, führte ihn sein erster Werbefeldzug in Deutschland nach Hamburg.

„Als wir uns die Frage stellten, wo wir ein solches Event ausrichten könnten, stand der FC St. Pauli sofort bereit, und Philippe hat sich gefreut, in einer Stadt wie Hamburg werben zu können“, sagt Volker Dankers, Geschäftsführer des Reiseveranstalters xplore the world, der in Zusammenarbeit mit der PSA-Akademie Sprachreisen in Kombination mit sportlicher Betätigung anbieten möchte.

Da sich die fünf im Hamburger Rugby-Verband zusammengeschlossenen Vereine mit Leistungsteams im Erwachsenenbereich – neben St. Pauli sind dies der Hamburger Rugby-Club (HRC), der HSV, die Exiles und die Old Boys, dazu ist der ETV mit den Koalas im Jugendbereich aktiv – als große Familie verstehen, hatte St. Paulis Abteilungsleiter Nils Zurawski interessierte Trainer aus allen Vereinen ebenso zum Treffen mit PSA geladen. Sie konnten dabei zuschauen, wie der Starcoach, der mit zwei Begleitern angereist war, zunächst 75 Minuten mit 40 Jungen und Mädchen der Jahrgänge U 14 bis U 16 trainierte und anschließend gute eineinhalb Stunden die Übungen der braun-weißen Bundesligamänner anleitete. Friedrich Michau, Chef des St.-Pauli-Trainerkollektivs, beobachtete das Treiben von außen.

„Für uns ist das natürlich eine ganz besondere Ehre, dass sich ein solcher Trainer für unseren Verein entschieden hat“, sagt Zurawski, der im größten Rugbyclub Deutschlands mittlerweile rund 650 Mitglieder betreut. Neben den Männern spielen auch St. Paulis Frauen in der Bundesliga, der Kiezclub ist der einzige Hamburger Verein, in dem leistungsbezogenes Rugby auch Frauensache ist. Für die Männer, die nach der Hinrunde mit nur einem Sieg aus sieben Spielen Vorletzter in der Nordostgruppe sind, sollte die Spezialeinheit einen Motivationsschub für die Rückrunde darstellen, die am 9. April (15 Uhr) mit einem Heimspiel gegen Tabellenführer RK 03 Berlin startet. „Es war sehr beeindruckend, Tipps von so einem Mann zu bekommen. Wir können daraus als Team sehr viel in die Bundesliga mitnehmen“, sagt Kapitän Tom Behrendt, St. Paulis einziger aktueller Nationalspieler.

Lokalrivale HRC, mit acht Punkten Vorsprung einen Rang vor St. Pauli platziert, muss zum Auftakt am 8. April beim RC Leipzig antreten. Das Stadtderby, zu dem bei gutem Wetter eine vierstellige Zahl an Fans pilgert, ist für 6. Mai vorgesehen. Ihre Heimspiele tragen alle Hamburger Leistungsteams an der Saarlandstraße aus, wo derzeit für 300.000 Euro ein neues Verbandshaus gebaut wird, das alle Vereine nutzen sollen. Abseits des Rasens nämlich weicht alle Rivalität einer guten Freundschaft, wie HRC-Präsident Heinz-Peter Jungblut bestätigt, der als Zuschauer die Ausführungen des französischen Gastes begutachten wollte. „Das ist eine überragende Aktion von St. Pauli, und dass alle anderen Vereine eingebunden wurden, zeigt, dass wir gemeinsam für die Entwicklung unseres Sports kämpfen“, sagt er.

Rugby habe in Deutschland durch die Liveübertragung der WM 2015 im Free-TV bei Sport 1 einen enormen Popularitätsschub erfahren, die Mitgliederzahlen in den Clubs entwickeln sich kontinuierlich positiv. „Deshalb hoffen wir, dass wir auch mithilfe solcher Aktionen aus der Nische herausfinden“, sagt Jungblut. Saint-André jedenfalls ist begeistert von dem, was er erlebt hat: „Ich hätte gern noch länger trainiert. Die Deutschen haben sehr viel Perspektive, sie sind clever, schnell und athletisch“, sagt er. Und dass er sich Zeit nehmen wolle, um zurückzukommen. „Das war erst der Anfang.“