Melbourne. Saisonstart in Melbourne: Das veränderte Regelwerk bringt die Formel-1-Fahrer zurück ans Limit.

Es scheint eine Regeländerung für die neue Formel-1-Saison zu geben, die bis zur Ankunft an der provisorischen Rennstrecke im Albert Park niemand auf der Rechnung hatte. Sie gilt offenbar für drei der vier Kronprinzen, die ab Sonntag (7 Uhr MESZ, RTL und Sky) um den verwaisten Thron in der Königsklasse kämpfen. Jedenfalls präsentierten sich Lewis Hamilton, Sebastian Vettel, Daniel Ricciardo und der in diesem Jahr wohl chancenlose Ex-Champion Fernando Alonso einheitlich mit Vollbart. Lediglich Max Verstappen, der ebenfalls zu den Aspiranten gehört, bleibt als Teenager beim glatten Kinn. Aber der Niederländer durfte auch nicht bei der offiziellen Talkshow dabei sein.

Zur veränderten Aerodynamik passt das veränderte Styling nur bedingt, zur gewünschten neuen Leichtigkeit schon eher. Freiheit, das gilt beim Saisonauftakt für die Konstrukteure wie für die Rennfahrer, ist immer das, was man daraus macht. So gesehen ist der Große Preis von Australien der Echt-Test, wie sich neue Regeln und neue Besitzer auf das Image und die Qualität der Formel 1 auswirken. Eine der Herausforderungen der runderneuerten Formel 1 ist es, dass sie Sport, Show und Geschäft zum eigenen Vorteil kombinieren muss.

Für Lewis Hamilton, den ersten Anwärter auf die Nachfolge seines früh verrenteten Mercedes-Rivalen Nico „Mucki“ Rosberg, liegen die Dinge plakativ einfach. Dass er es mit aggressiveren Rennwagen zu tun hat, entspricht seiner Lebensmaxime: „Ein Rennfahrer will doch immer das schnellste Auto der Welt fahren.“ Bis zu fünf Sekunden pro Runde soll die neue Fahrzeuggeneration schneller sein.

Vor allem in den Kurven wird das einen dramatischen Unterschied machen. „Die Formel 1 sollte sowohl den Fahrer wie das Auto immer ans Limit bringen“, referiert der 32-Jährige und gesteht damit, dass das zuletzt nicht der Fall war. Der Brite, mit neuem Halstattoo und Brilli in der Nase, wirkt gewohnt selbstbewusst, aber auch sehr fokussiert. Nein, er habe keine Rechnung offen aus dem letzten Jahr, als er wegen eines Motorschadens um fünf Punkte seinen Titel-Hattrick verpasste. „Ich nehme eine Menge Positives mit aus dem letzten Jahr“, behauptet er, „und es macht für mich keinen Unterschied, ob der Titelverteidiger da ist oder nicht. Du willst immer den schlagen, gegen den du gerade fährst.“

Erste Trainingseindrücke

Der ehemalige Teamchef Eddie Jordan, heute als TV-Kommentator stets hautnah dabei, vermutet, dass Hamilton die Konkurrenz „vernichten“ wolle, so sehr habe diesen die Niederlage gegen Rosberg verletzt.

Am liebsten wäre ihm, und nach 31 Mercedes-Siegen in den 59 vergangenen Rennen vermutlich auch dem Großteil des Publikums, wenn er nicht wieder nur gegen den eigenen Teamkollegen, der jetzt Valtteri Bottas heißt, fahren müsste: „Gegen einen anderen Rennstall zu kämpfen, das wäre großartig. Das bringt einfach mehr Spaß.“ Vielleicht schiebt er deshalb so gern Sebastian Vettel und Ferrari die Favoritenrolle zu. Das Duell mit dem Heppenheimer besitzt auch über den Saisonauftakt hinaus Brisanz, schließlich laufen zum Saisonende die Verträge beider Top-Piloten aus. Mercedes könnte damit liebäugeln, Vettel zu holen; Ferrari könnte sich für Hamilton entscheiden.

Vettel beinahe zurückhaltend

Sebastian Vettel wirkt angesichts der vielen Vorschusslorbeeren für seinen Gina (von Regina, der Regentin) getauften roten Rennwagen beinahe zurückhaltend. „Bisher weiß keiner, wo er steht.“ Wenn es nach dem Stand der Trainings-Weltmeisterschaft ginge, wäre Ferrari schon in den vergangenen beiden Jahren Champion geworden. „In der Vergangenheit haben sich die Dinge dann allerdings nicht so entwickelt, wie wir es erwartet hatten“, stellt Vettel fest. Für ihn ist klar, wer der Favorit sei – Titelverteidiger Mercedes. Die Frage ist tatsächlich, welches der drei großen Teams sich bislang aus taktischen Gründen mit der Leistung zurückgehalten hat. „Genau um das herauszufinden, sind wir ja hier“, sagt Sebastian Vettel.

Mit seinem Marathon-Grinsen sieht Lokalmatador Daniel Ricciardo nur Positives, was die neue Formel 1 angeht: „Es wird anstrengender, aber ich bin vorbereitet. Und wir werden mehr Spaß haben mit den Autos und in den Kurven.“ Passend zu der ihm eigenen Podiumszeremonie, den Champagner aus dem Schuh zu trinken, verkaufen findige Marketingmenschen im Albert Park von Melbourne bereits vorab an den Souvenirständen eine Fan-Edition seines Rennfahrerstiefels, den „Shoey“. Der Weg ganz nach oben aber kann für ihn nur über seinen Red-Bull-Teamkollegen Max Verstappen führen: „Ich hoffe, dass das ein extrem harter Kampf wird – und zwar um Siege. Er ist längst kein Anfänger mehr.“

Hohe Erwartungshaltung

Der aggressiv fahrende niederländische Youngster, wegen dem angeblich die Regeln so radikal geändert wurden, damit er es nicht mehr ganz so einfach habe, lässt allerdings bereits ausrichten: „Man braucht nicht mehr Mut mit den neuen Autos.“

Immerhin sorgt die hohe Erwartungshaltung an die neue Formel 1 bei allen Fahrern für gute Laune, wie sich bei der Frage nach den persönlichen Wünschen zeigte. „Ein Rennen in Las Vegas“, fordert Ricciardo. „Eins in Deutschland“, sagt Vettel. „Miami“, ergänzt Hamilton. Und außerdem: „Es gibt viel zu viele Männer hier. Mehr Frauen im Fahrerlager wären schön.“ Später spezifiziert er: am besten die Models einer nordamerikanischen Unterwäschemarke. So hat eben jeder seine Ansprüche und Ansichten, wie dieser Neustart zu einer besonders heißen Sache werden kann.