Dortmund. Mit dem Länderspiel gegen England beginnt für Bundestrainer Joachim Löw das Casting neuer Talente – Neuer fällt aus

Auch die aufregendsten Dinge im Leben eines Profi-Fußballers kann Lukas Podolski auf bestechend einfache Weise beschreiben. Als Mann der Offensive sollte er ja immer Tore schießen. Oder wie er selbst mal sagte: „Rein das Ding und ab nach Hause!“ Dieser puristischen Poesie folgend steht dem 31-Jährigen am Mittwoch (20.45 Uhr/ARD live) beim Länderspiel gegen England in Dortmund nichts Größeres bevor: Trikot an, Schnittblumen, winken. Nach 13 Jahren und 130 Länderspielen geht’s für den Kölner ein letztes Mal von der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ab nach Hause.

Wo Dinge enden, beginnen andere. Für Bundestrainer Joachim Löw und jene Spieler, die nicht Podolski heißen, ist dieser Abend der Start ins Länderspieljahr. Und anders als bei der folgenden Begegnung in Aserbaidschan am Sonntag (18 Uhr/RTL), das von der Ernsthaftigkeit der WM-Qualifikation geprägt ist, kann Löw gegen England nach Herzenslust experimentieren.

Vermutlich wird er Gebrauch machen von dieser Möglichkeit. Denn dazu soll dieses Jahr, das Jahr vor dem WM-Turnier in Russland, schließlich da sein. Es gehe darum, „weitere hoffnungsvolle Spieler an das nächste Level heranzuführen“, nennt Bundestrainer Joachim Löw sein Casting der Talente. Das Gute für ihn: Der Terminplan des Jahres sieht zwei Turniere vor, in denen das möglich ist. Das Schlechte: Diese Turniere finden zur gleichen Zeit statt. Der Konföderationenpokal als Generalprobe des Gastgeberlandes Russland dauert vom 17. Juni bis 2. Juli, die U-21-EM in Polen vom 16. bis 30. Juni.

Löw steht vor der schwierigen Aufgabe, mit Augenmaß einige Stars zu schonen und eine Mannschaft mit Per­spektive für den Konföderationenpokal zusammenzubasteln, aus der die Besten das bisher bestehende sportliche Grundgerüst bei der WM 2018 bereichern könnten.

Dieses Grundgerüst bilden laut Löw die Leistungsträger der Weltmeisterschaften 2010 und 2014. Typen wie Manuel Neuer im Tor, der seine Teilnahme an den kommenden beiden Länderspielen wegen einer Wadenverletzung am Montag absagte und der durch Kevin Trapp von Paris Saint-Germain ersetzt wird. Typen wie die Verteidigungs-In­stanzen Jerome Boateng und Mats Hummels, Feinfüße wie Mesut Özil und Toni Kroos oder der in seiner eigenen Liga vagabundierende Thomas Müller. Typen, die allesamt und unzweifelhaft Weltklasse verkörpern.

Der Bundestrainer ließ zuletzt keinen Zweifel daran, dass nur Veränderungen im High-End-Bereich wirklich spürbar wären. Nur weil jemand in der Bundesliga hervorsticht, „heißt das noch lange nicht, dass er bei der WM in K.o.-Spielen die Leistung abrufen kann, die die Mannschaft braucht, um den Titel zu holen“, sagte Löw jüngst dem Fachmagazin „Kicker“: „Wir reden von Weltklasse, von absoluter Weltklasse.“

Nur sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, den Titel 2018 zu verteidigen. Wobei Löw bei diesem Wort einschreitet. Er wolle den Titel gewinnen, nicht verteidigen. Das klingt ihm zu sehr nach Besitzstandswahrung. Das ist dem Bundestrainer zu defensiv, so denkt er nicht. Deshalb platziert er seine verbale Offensive so geschickt, wie er sich das manchmal von seiner Mannschaft wünschen würde.

Der DFB-Elf war im vergangenen EM-Sommer beim betrauerten Halb­final-Aus gegen Frankreich die offensive Unwucht zum Verhängnis geworden. Löws Mannschaft besaß den Ball, aber schoss keine Tore. Noch immer verfügt die deutsche Mannschaft – anders als in sonstigen Bereichen des Spielfeldes – nicht über verlässliche Weltklasse. Der kantige Mario Gomez hat eine erstaun­liche Trefferquote, doch mehr als einmal hat Löw öffentlich festgehalten, dass der Wolfsburger schwer ins sonstige spielerische Geschehen einzubinden sei. Die weiteren Torschuss-Lösungen in den internen Planungen heißen Thomas Müller, Mario Götze, Marco Reus, André Schürrle oder Julian Draxler. Nicht zwingend als Spitze aufgestellt, aber als diejenigen, die für Gefahr und Unruhe sorgen.

Löw sucht nach Weltklasse-Alternativen in der Offensive

Fakt ist aber auch: Noch ist Löw auf der Suche nach der perfekten Besetzung. Auch deswegen hat er erstmals Timo Werner, den Angreifer vom starken Aufsteiger RB Leipzig, nominiert. Dem 21-Jährigen, der im bisherigen Saisonverlauf 14 Tore schoss und sechs Vorlagen gab, traut er eine gute Entwicklung zu. „Ein Stürmertyp wie Werner ist schwer zu fassen, er bringt Unordnung in eine Ordnung“, sagt Löw. Aber auch im Bereich Offensive liegt die Messlatte hoch. Cristiano Ronaldo, der Star von Real Madrid, und Lionel Messi, der Star vom FC Barcelona, seien der Maßstab, „wenn wir Weltmeister werden wollen“, sagt Löw. Ein weiter Weg. Er könnte beginnen, wo anderes endet.