Hamburg. Das 0:3 gegen Frankfurt war für den Club der Tiefpunkt – für Trainer Gisdol der Ursprung des Aufschwungs

Die Erinnerungen sind noch präsent. Sehr präsent. „Es war eine schwierige Zeit“, sagte Markus Gisdol am Donnerstag. Kurze Atempause. Und noch mal. „Eine sehr schwierige Zeit.“ Der HSV-Trainer spricht vor dem Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt am Sonnabend (18.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) über die Situation seines Clubs vor genau 147 Tagen. Der HSV hatte gerade im eigenen Stadion mit 0:3 gegen Frankfurt verloren. Es war das erste Heimspiel von Gisdol als HSV-Trainer. Und für die Hamburger der absolute Tiefpunkt. „Der schlechteste HSV aller Zeiten“, titelte das Abendblatt nach diesem Abend des 21. Oktobers, der den schlechtesten Saisonstart in der Bundesligageschichte des HSV besiegelte.

Und Gisdol? Der beschreibt dieses Erlebnis rund fünf Monate später mit einem Wort: „wertvoll“. Kurze Atempause. Und noch mal. „Sehr wertvoll“. Dabei will Gisdol vor dem Wiedersehen mit der Eintracht eigentlich gar nicht zurückblicken. „Die Kisten sind zugemacht und stehen im Keller“, sagt der 47-Jährige heute. Und doch ist es unerlässlich, sich an dieses Spiel zu erinnern, will man die aktuelle Situation des HSV ergründen. „Das Spiel war wertvoll, weil es uns in vielen Bereichen die Augen komplett geöffnet hat. Es hat uns geholfen, unsere Analysen schonungslos zu machen“, sagt Gisdol.

Dass der HSV nun als Vierter der Rückrundentabelle nach Frankfurt reist und mit einem Sieg bis auf sechs Punkte an die auf Rang sechs liegende Eintracht heranrücken könnte, hat viel zu tun mit den Maßnahmen, die Gisdol nach der Analyse des Hinspiels ergriff. Einen ganzen Katalog voller Maßnahmen, die wenige Tage nach dem 0:3-Debakel einsetzten, als der Sportpsychologe Christian Spreckels zu den Profis geholt wurde. Gisdol veränderte die Tagesabläufe, tauschte zwei Betreuer aus, holte sich mit Tobias Hauke einen neuen Teammanager und machte Gotoku Sakai zum neuen Kapitän.

Vor allem aber machte Gisdol innerhalb der Mannschaft deutlich: Wer nicht mitzieht, ist raus. Während Alen Halilovic nach seiner Startelfpremiere gegen Frankfurt gar nicht mehr in den Kader berufen wurde, beließ es Gisdol in den Fällen Nicolai Müller und Lewis Holtby bei einem Denkzettel, als die beiden im anschließenden Pokalspiel in Halle auf der Bank sitzen mussten. „Wir haben unser Gesicht um hundert Prozent verändert“, sagt der Coach.

Wirklich überraschend kamen Gisdols Maßnahmen nicht. Wer wissen will, wie Gisdol tickt, muss die Zeit um genau vier Jahre zurückdrehen um zu merken, dass sich die Geschichte beim HSV wiederholt. Im April 2013 musste Gisdol 1899 Hoffenheim retten. Gleich in seinem zweiten Spiel geriet er in Leverkusen mit 0:5 unter die Räder. Ein Auftritt, der in Hoffenheims Chefetage für Entsetzen sorgte. Mäzen Dietmar Hopp flüchtete noch während des Spiels aus dem Stadion.

Und Gisdol? Der sprach nach dem Spiel von „wertvollen Erkenntnissen“ – und ergriff ähnliche Maßnahmen wie vor fünf Monaten beim HSV. Er strich vier Spieler aus dem Kader, darunter den vom FC Bayern München gekommenen Japaner Takashi Usami. Auch Matthieu Delpierre, immerhin mal Meister mit dem VfB Stuttgart, flog aus der Mannschaft und landete später in der Trainingsgruppe II. Stattdessen holte Gisdol aus der damaligen A-Jugend der Hoffenheimer die Talente Niklas Süle und Jeremy Toljan zu den Profis. Beide holten im vergangenen Sommer mit der deutschen Olympia-Auswahl die Silbermedaille.

Auf Talente aus dem eigenen Nachwuchs hat Gisdol beim HSV bislang nicht gesetzt. Dafür ist die sportliche Lage weiterhin zu prekär. Perspektivisch will der Trainer die Jugend verstärkt einbinden. Unter der Woche holte er mit Fiete Arp (17) und Tobias Knost (16) zwei der größten HSV-Talente zu den Profis. Am Mittwochabend sah er sich das Regionalligaspiel der U21 gegen die Amateure von Hannover 96 an. „Wir müssen die U19, die U21 und die Profis noch stärker verzahnen“, sagte Gisdol am Donnerstag.

Nach Frankfurt nimmt der Trainer allerdings wieder die bewährten Spieler mit. Und die Hoffnung, dass der HSV erstmals seit der Saison 2010/11 drei Bundesligasiege in Folge schaffen könnte. Die Voraussetzungen sind gegeben. Die Eintracht hat die jüngsten fünf Spiele in der Liga alle verloren.

Und Gisdol? Der will sich auf solche Rechenspiele nicht einlassen. „Ich warne davor, Frankfurt nur anhand der vergangenen fünf Spiele zu bewerten“, sagt Gisdol. „Es wird eine schwere Aufgabe.“ Kurze Atempause. Und noch mal. „Eine sehr schwere Aufgabe.“