Hamburg.

Die Musik ertönt. Nele Nachtigall hat ihre Position eingenommen, der Blick geht ins Leere. Jeden Teil ihres Körpers hält sie in Spannung. Der Rhythmus wird schneller. Wie eine Schaufensterpuppe, die plötzlich zum Leben erwacht, dreht sich die 31-Jährige um die eigene Achse, schaut ihren ausgestreckten Händen hinterher. Jede Bewegung gelingt ihr mit Leichtigkeit, ihre roten Haare flattern ihr durchs Gesicht. „Wenn man sich zur Musik bewegt, vergisst man alles“, sagt Nele Nachtigall.

An diesem Sonnabend startet die Hamburger Jazz- und Moderndance­gruppe Topas aus Steilshoop in die neue Bundesligasaison. Das Turnier in Schermbeck (Nordrhein-Westfalen) ist der Auftakt von insgesamt vier Veranstaltungen. Im vergangenen Jahr landete Topas im Mittelfeld. Das sei auch dieses Mal das Ziel, sagt Nachtigall. „Das Wichtigste ist, dass wir mit uns zufrieden sind. Hauptsache, wir halten die Klasse.“

Die Tänzerin hat oft die ganze Nacht nicht geschlafen, wenn sie am Sonntagmorgen oder Donnerstagabend in die Turnhalle Appelhoff in Steilshoop zum Training kommt. Denn es kommt vor, dass sie direkt nach einer Nachtschicht zu einer Übungseinheit fährt. Die gebürtige Bremerhavenerin arbeitet seit vier Jahren als Ärztin im Evangelischen Amalie-Sieveking-Krankenhaus in Volksdorf, bildet sich gerade zur Internistin weiter. Als sie drei Jahre war, schaute sie mit ihren Eltern einen Ballerina-Film. Seitdem will sie nichts anderes als tanzen. Mit 13 fing sie an, an Wettbewerben teilzunehmen. Seit 2006 tanzt sie als heute eine der Dienstältesten bei Topas. 25 Jahre gibt es diese Formation nun schon.

Für Beruf und Hobby gleichermaßen zu brennen, scheint beneidenswert. Ob sie sich ihren Traumjob so vorgestellt habe? „Ja!“, sagt Nachtigall und nickt heftig. Das Leid der Patienten begleitet die junge Medizinerin aber oft bis nach Hause. „Jemand, den diese Schicksale nicht berühren, wäre falsch in unserem Beruf. Aber du musst aufpassen, dass du nicht zu viel davon mit nach Hause nimmt, das kann belastend sein.“

Dabei hilft ihr das Tanzen. Wenn sie sich zur Musik bewegt, fühlt sie sich frei. „Es ist ein wahnsinnig guter Ausgleich“, sagt Nachtigall, die trotz Fulltime-Job auch noch Beauftragte für alle Jazz- und Moderndancegruppen in Hamburg ist. „Wenn die Tanzschritte erst einmal in den Körper übergegangen sind, ist das wie Meditieren.“ Für sie bedeutet dies: Musik an, Welt aus.