Barcelona. Champions League Das 6:1 der Katalanen gegen Paris geht als größtes Comeback in die Geschichte ein

Der Tag nach dem Wunder. Flimmernde Bilder im Kopf, Tinnitus in den Ohren, der Lärm von 100.000, die schon oft 100.000 waren, aber noch nie so laut. Um 9 Uhr morgens sind am Kiosk die Sportzeitungen ausverkauft. Und wer weiß, vielleicht steigt im Gesundheitsamt von Barcelona ja wirklich gerade eine Strategiesitzung. „Stellt in den nächsten neun Monaten viele Krankenschwestern ein“, hatte Gerard Piqué empfohlen: „Denn heute Nacht wird viel Liebe gemacht.“

Ein Fußballwunder also, einer von der Sorte, wie sie nur alle Jubeljahre passieren. Um nicht zu sagen: eines wie noch nie. 1:5 war im Europapokal schon mal aufgeholt worden, auch 2:6. Aber noch nie ein 0:4, und warum ein 1:5 und ein 2:6 eben kein 0:4 sind, war nach der 62. Minute dieses Champions-League-Achtelfinals deutlich zu spüren gewesen. Da verkürzte Edinson Cavani für Paris St. Germain auf 1:3, und der FC Barcelona musste plötzlich auf sechs Tore kommen. Unmöglich.

Die ersten Zuschauer packten ihre Sachen, und als Ivan Rakitic ausgewechselt wurde, erhielt er stellvertretend eine dankbare Ovation für den anständigen Versuch einer Aufholjagd. Barça hatte das Heldentum gestreift, zu mehr schien es nicht zu reichen. Es lief die 84. Spielminute, und es fehlten drei Tore.

Unmöglich? Nicht für Neymar. In der 88. Minute zirkelte er einen Freistoß in den Winkel, und genauso entscheidend war seine Reaktion: Er peitschte Mitspieler und Publikum auf. Hier war einer, der wirklich noch daran glaubte. Im Nachhinein haben das natürlich immer alle, doch nicht jeder Mitspieler und schon gar nicht die Zuschauer haben die Wiederauferstehung so verinnerlicht wie der statistisch meistgefoulte Fußballer des Kontinents; der mit 25 Jahren schon das große Brasilien in Desaster (WM) und Erlösung (Olympia) anführte; dessen Transferschachteleien den eigenen Verein vor Gericht brachten. Dieser Neymar war jetzt on fire, er spielte „das beste Spiel meines Lebens“.

Als Barcelona in der ersten Minute der Nachspielzeit einen Elfmeter geschenkt bekam, war er es und nicht wie noch 40 Minuten vorher Lionel Messi, der sich den Ball nahm. Und als in der 95. Minute die letzte Angriffswelle anstand, da „sagte ich zu Sergi, dass er in den Strafraum ziehen und den Ball suchen soll: dass er auf ihn gehen wird.“

Sergi, Sergi Roberto, ebenfalls 25, aber aus Reus in Katalonien, ist keiner, der einem Weltstar widersprechen würde, und zog in den Strafraum, Sergi suchte den Ball, und Sergi kam an den Ball. Wie? „Ich weiß es nicht mal“, sagte er später. Er wird es bis ans Ende seiner Tage erzählt bekommen, gern und immer wieder: Sergi flog in den Ball und versenkte ihn volley mit der Spitze des ausgestreckten Fußes. In der letzten Minute, mit dem letzten Zeh.

Als die Franzosen von ihrem Begräbnis zum Mannschaftsbus mit der fast schon tragischen Aufschrift „Revôns plus grand“ (Lasst uns groß träumen) gingen, stammelte der Pariser Mittelfeldspieler Adrien Rabiot noch, wie sein Team in der Schlussphase „in ein Loch schaute“.

Diskutiert wurde auch über die deutschen Schiedsrichter um Denis Aytekin, die alle strittigen Szenen zugunsten der Gastgeber auslegten, Paris zwei ziemlich eindeutige Elfmeter vorenthielten und Barcelona dubiose gaben, den zweiten zum 5:1 nach einer Schwalbe von Luis Suárez. Auch das gehörte zu dieser Nacht: dass Barça mehr durch seine Wettkampfhärte überzeugte als durch Fußballästhetik. Abseitsverdächtiges Stochertor, Eigentor, Elfmeter, Freistoß, Elfmeter – und Sergi Roberto. So lautete die Trefferfolge.

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