Hamburg. Nach dem jüngsten Pyroprotest ermittelt der HSV gegen die Ultras. Dem Club droht eine hohe Strafe. Hinter den Kulissen tobt ein Fanstreit

In 30 Jahren Bundesliga hat Heribert Bruchhagen schon viel erlebt. Als der Vorstandschef des HSV am Sonntag vor dem Spiel gegen Hertha BSC das Feuer auf der Nordtribüne des Volksparkstadions beobachtete, dachte er nur wenig. Eine Gruppe von Ultras war gerade dabei, bengalische Feuer und Rauchbomben im Fanblock zu zünden. Mal wieder. Und Bruchhagen? Der blieb gelassen. Mal wieder. Seine Haltung: Geldstrafe akzeptieren. Das Pro­blem könne man ohnehin nicht lösen.

Bruchhagens Vorstandskollege Frank Wettstein war dagegen verärgert. Der Finanzchef muss die HSV-Kasse öffnen. Mal wieder. Bereits Mitte Januar hatte das DFB-Sportgericht den HSV zu einer Geldstrafe von 45.000 Euro verurteilt. Nach den jüngsten Pyro­aktionen bei RB Leipzig und nun gegen Hertha dürfte der HSV in einigen Wochen erneut Post mit einem ähnlichen Bußgeldbescheid bekommen. Dann hätte der HSV in drei Jahren rund 300.000 Euro für das Fehlverhalten seiner Fans gezahlt (siehe Tabelle). „Es ist schade, dass in dieser entscheidenden Phase nicht alle ihre gesamte Kraft in den Kampf um den Klassenerhalt investieren“, sagte Wettstein dem Abendblatt.

Der HSV fürchtet nach dem erneuten Pyrovorfall sogar eine härtere Strafe durch den DFB. „Einige wenige schaden mit ihrem Verhalten dem Club nicht nur finanziell, sondern riskieren damit sogar kollektive Bestrafungen“, sagt Wettstein. Möglich wäre ein Teilausschluss der Zuschauer bei einem Heimspiel. „Strafen sind im Vorhinein immer Spekulation, denn die Sportgerichtsbarkeit ist unabhängig und prüft jeden Fall sorgfältig und einzeln. Prognosen können daher nie seriös sein“, teilt der Deutsche Fußball-Bund auf Abendblatt-Anfrage mit.

Heribert Bruchhagen hat so eine Bestrafung schon einmal erlebt. Erst in der vergangenen Saison wurde sein ehemaliger Club Eintracht Frankfurt zu einem Teilausschluss der Fans bei drei Spielen verurteilt. Ultras der Eintracht hatten im Pokalspiel in Magdeburg Rauchbomben in den gegnerischen Fanblock geworfen. Verändert hat sich in der Frankfurter Ultraszene durch dieses Urteil nur wenig. Auch deswegen blickt Bruchhagen dem Pyroproblem beim HSV gelassen entgegen.

Seit Jahren gehören die Hamburger zu den Clubs mit den häufigsten Vergehen. Zumeist zündeln die Fans in Auswärtsstadien, in denen sie das erste Mal zu Gast sind. So wie in der vergangenen Saison in Darmstadt oder vor vier Wochen in Leipzig. Auch DFB-Pokalspiele bei unterklassigen Clubs gelten in der Ultraszene als gute Gelegenheit, Feu- erwerkskörper abzubrennen. Hier gelingt es den Anhängern leichter, die Pyroware in das Stadion zu schmuggeln.

In Zwickau und in Halle brannte es im Auswärtsblock des HSV mehrfach. Umso überraschender war das Abbrennen von Pyrotechnik am Sonntag im eigenen Stadion. Denn das gilt in der Ultrabewegung eigentlich als Tabu. „Willkürliche Haus- und Stadionver­bote – jetzt geht es in die heiße Phase“, stand auf einem Spruchband. In der Fanbetreuung des HSV zeigte man sich verwundert und enttäuscht über die Gründe der Aktion. Gemeinsam mit der Polizei will der Club die Täter ermitteln, gleichzeitig aber auch den Dialog mit der Ultragruppierung suchen.

Wie das Abendblatt aus der Fanszene erfuhr, richtete sich der Protest aus der Fangruppe „Castaways“ gegen vereinzelte Stadionverbote, die der HSV im Laufe der Saison gegen Fans ausgesprochen hat. Zu Unrecht und willkürlich, wie es heißt. Mit der Aktion wollte die Gruppe ein Zeichen setzen – und sorgte damit für eine weitere Spaltung in der Ultraszene des HSV. Unter den Mitgliedern von „Poptown“, der größten Ultragruppe, stieß die Aktion auf Unverständnis. Und selbst unter den „Castaways“, einer vor der Saison gegründeten Gruppe von rund 100 Fans, waren nicht alle einverstanden mit dem Protest. Die neuen Ultras sind zumeist Jugendliche und junge Erwachsene, die zum Großteil aus der vor zwei Jahren zurückgezogenen Ultragruppe „Chosen Few“ hervorgegangen sind. Auf Abendblatt-Nachfrage wollten sich die „Castaways“ zu der Aktion nicht äußern.

Weil sich die Gruppe unter einer Fahne vermummt und die Kleidung gewechselt hatte, wird es für den HSV wieder schwierig, die Täter zu ermitteln. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem September 2016 würde es den Vereinen theoretisch ermöglichen, Zünder von Pyrotechnik in Regress zu nehmen und Schadenersatz zu stellen. Der HSV hat von dieser Möglichkeit aber bislang noch keinen Gebrauch gemacht.

In Leipzig wollte der örtliche Sicherheitsdienst nach dem Spiel einzelne Verdächtige aus der Hamburger Gruppe herausziehen. Es kam zu einer Solidarisierungsaktion mit anschließender Schlägerei. Auch deswegen verzichten Ordner und Polizisten darauf, nach einem Pyrovorfall in den Block zu gehen und Täter herauszuziehen.

Der HSV will nun mithilfe der clubeigenen Fanbetreuung und dem externen Fanprojekt, einem von der DFL und der Stadt finanzierten Verein, in die Gespräche mit den Ultragruppen gehen und präventive Maßnahmen einleiten. Ob diese dazu führen, dass der HSV künftig weniger Strafen an den DFB zahlen muss, ist fraglich. Nicht nur beim HSV sind die Fälle in dieser Saison gestiegen. Allein in der vergangenen Spielzeit verurteilte das DFB-Sportgericht die Clubs in Liga eins, zwei und drei wegen Pyroaktionen zu einer Gesamtsumme von rund einer Million Euro.

Zumindest zündeln die Ultras für gemeinnützige Zwecke. Wie der DFB dem Abendblatt mitteilte, gingen die Gelder in den vergangenen Jahren 1:1 an fußballnahe Projekte wie die Egidius Braun- oder die Robert Enke-Stiftung. So auch die Strafe, die der HSV in den kommenden Wochen hinnehmen muss.