Leverkusen. Bayer Leverkusen entlässt nach dem 2:6 in Dortmund Trainer Roger Schmidt

In den Geschichtsbüchern des deutschen Fußballs gibt es einen Eintrag zu Roger Schmidt. Etwas mehr als ein Jahr ist dieser Eintrag nun alt, und er erzählt vom Spiel Bayer Leverkusens gegen Borussia Dortmund. Da widersetzte sich Bayers Trainer der Anweisung des Schiedsrichters, sich wegen unsportlichen Verhaltens auf die Tribüne zu begeben. Das Spiel stand deswegen vor dem Abbruch. So einen Fall hatte es noch nicht gegeben. Und er dokumentierte, dass es schon mehr bedarf, damit dieser Roger Schmidt seinen Arbeitsplatz verlasse.

Die Anekdote taugte ja durchaus als Sinnbild. Immer wieder war Schmidt in die Kritik geraten, immer wieder schien er noch eine Niederlage von der Entlassung entfernt. Dann siegte er wieder. Am Sonntag nun, einen Tag nach der 2:6-Niederlage Leverkusens bei Borussia Dortmund, entzogen die Club-Bosse nach mehrstündiger Krisensitzung dem Trainer das Vertrauen und entließen den 49-Jährigen aus seinem bis 2019 laufenden Vertrag.

Eine Nachfolgeregelung soll zeitnah präsentiert werden. Details sollen an diesem Montag (13 Uhr) in einer Pressekonferenz bekannt gegeben werden. Der neue Coach wird erstmals im Liga-Spiel am Freitag gegen Werder Bremen auf der Bank sitzen. Fünf Tage später tritt Leverkusen mit der 2:4-Hypothek aus dem Hinspiel im Achtelfinale der Champions League beim Vorjahresfinalisten Atlético Madrid an.

Angesichts der sportlichen Entwicklung sei der Club zu der Meinung gelangt, dass „eine Trennung zwar schmerzhaft“, aber „unumgänglich ist“, erklärte Geschäftsführer Michael Schade. Er fügte an: „Mir persönlich tut dieser Schritt sehr leid, denn wir haben Roger Schmidt viel zu verdanken.“ Nach seiner Vertragsverlängerung im Mai 2015 schwärmte Schade noch, Bayer stehe wegen Schmidts Handschrift jetzt „für einen Stil, der national und international für Aufsehen sorgt und große Anerkennung erfährt“.

Positiv konnte Schmidt den zweimaligen Einzug in die Champions League verbuchen sowie in diesem Jahr die erste Gruppenphase ohne Nieder­lage. Unter ihm entwickelten sich Talente wie Karim Bellarabi, Jonathan Tah, Benjamin Henrichs und zuletzt Kai Havertz teilweise in Richtung Nationalmannschaft.

Sportdirektor Rudi Völler ließ ebenfalls Bedauern kommunizieren, weil er Schmidt „für einen absoluten Toptrainer“ halte, weshalb er sich „immer und überall aus voller Überzeugung für ihn eingesetzt“ habe. Der Nachsatz aber klingt so verheerend, wie die Lage derzeit ist: „Wir mussten jetzt handeln, wenn wir unsere Saisonziele nicht vollends aus den Augen verlieren wollen.“

Genauer genommen ringt Leverkusen nur noch um ein Ziel, das Minimalziel Europa League. Vor der Saison rüstete Bayer die Mannschaft im zweistelligen Millionenbereich auf und nährte die Hoffnung, in der Hierarchie der Liga noch klettern zu können. Die Realität sieht indes anders aus: Im DFB-Pokal schied die Mannschaft schon in der zweiten Runde beim Drittligisten Sportfreunde Lotte aus, in der Champions League sieht Bayer dem fast sicheren Aus entgegen. Und in der Liga steht der Verein so schlecht da wie zum gleichen Zeitpunkt seit 14 Jahren nicht mehr. Orientierungslos im Mittelfeld, das Dortmunder Halbdutzend als Tiefpunkt, das Schmidt zur Überraschung vieler Zuhörer als „einen guten Schritt in die richtige Richtung“ deklarierte.

Die Trennung danach war der Schlusspunkt einer Liaison, die 2014 so verheißungsvoll begonnen hatte, weil Schmidts radikales Sturm-und-DrangKonzept funktionierte, Tore und Siege brachte. Doch mit der Zeit kamen die Probleme. Sie handeln von der Schwierigkeit, der Mannschaft einen verlässlichen Stil zu verpassen. Sie handeln von Problemen in der Außendarstellung und einem Führungsstil, der bei manchem Profi für Irritationen hinterließ. Der Trainer habe „seine Macken“ und sei „nicht immer pflegeleicht“, hat Völler einmal wissen lassen.

Deshalb schaffte der Club im Winter sogar eine Position, die es im deutschen Fußball noch nicht gab: den Koordinator Trainer- und Funktionsteam. Jörn Wolf, als langjähriger Medienchef des Hamburger SV krisenerprobt, sollte aufpassen, dass Schmidt nicht zum Verhängnis für Schmidt wird. Dass der Trainer in Dortmund in seiner Startelf auf Stars wie Julian Brandt, Karim Bellarabi und Chicharito verzichtete, ließ sich allerdings schlecht verhindern. Es war Schmidts letzter Versuch, mit Autorität die Wende herbeizuführen. Ohne Rücksicht auf das Binnenklima, ohne Rücksicht auf Namen.

Vor einer Woche, nach der miserablen Leistung gegen Mainz (0:2), nahm Völler die Spieler öffentlich in die Pflicht. Nun beugt sich Leverkusen den Gesetzmäßigkeiten der Branche und sucht einen neuen Trainer. Für Montagmittag lädt der Verein also zu einer außerordentlichen Pressekonferenz. Dort geht es darum, wie es weitergeht. Am wahrscheinlichsten scheint eine Interimslösung bis zum Saisonende auf dem Trainerposten zu sein. Aber auch Namen für danach geistern schon umher. André Schubert (45) ist auf dem Markt, der Mainzer Martin Schmidt (49) soll das Leverkusener Interesse ebenfalls schon geweckt haben.