Hamburg. Eine Woche nach dem 0:8 in München erkämpft sich der HSV ein starkes 1:0 gegen Berlin. Gisdol forciert „klassenunabhängige Gespräche“

Handgestoppte sieben Sekunden war der Schlusspfiff am Sonntagabend gegen 19.22 Uhr her, als Markus Gisdol durch die Katakomben des Volksparkstadions eilte. Der Kopf knallrot, die Augen weit aufgerissen, der Mund geschlossen. Kein Wort sagte der HSV-Coach auf dem rund 30 Meter langen Weg durch den Spielertunnel, an den Kameras und wartenden Journalisten vorbei, durch die Kabinentür und direkt links abgebogen ins Trainerzimmer. Doch wenn Blicke sprechen könnten, dann schrie der Trainer direkt nach dem verdienten 1:0-Sieg des HSV gegen Hertha BSC nur ein langgezogenes Wort: „Jaaaaaaaaa!“

Eine knappe Dreiviertelstunde später saß eben jener Gisdol einen Stock höher im voll besetzten Medienraum, studierte entspannt den Statistikzettel und beantwortete gelassen die Fragen des Tages. Nein, seine Mannschaft habe sicherlich kein fußballerisches Feuerwerk abgebrannt, gab der Coach zu, aber der Sieg war aus seiner Sicht ein verdienter: „Für mich war ganz wichtig, dass wir die 90 Minuten stabil durchbekommen haben“, sagte Gisdol. Ruhig. Sachlich. Und unaufgeregt.

Wenn man es nicht besser wüsste, dann war es in der Tat nur schwer zu glauben, dass es gerade einmal eine Woche her ist, dass der gleiche Gisdol nach Worten ringen musste, um die höchste Saisonniederlage einer Bundesligamannschaft zu kommentieren. 0:8 hatte sein HSV in München verloren. „Wir haben es zu keiner Phase geschafft, ein angemessener Gegner zu sein“, hatte Gisdol nach der Mutter aller Saisonniederlagen gesagt – und diese eine Woche später schon wieder abgehakt. „Heute hat man gesehen, was man mit der richtigen Einstellung erreichen kann“, lobte er und schwärmte noch einmal vom Tor des Tages: „Der Siegtreffer war symptomatisch für das Spiel. Bobby hat sich den Ball klasse erkämpft, und Albin hat ihn dann ja fast reingegrätscht.“

Das späte Tor des Tages hatte tatsächlich eine gesonderte Würdigung verdient. Manchmal werden Fußballspiele durch einen Kunstschuss entschieden, manchmal ist es ein besonderes Dribbling und manchmal ist es eine Tiki-Taka-Kombination, die das Publikum verzückt. In der 77. Minute am Sonntagabend war es der doppelte Einsatz des herausragenden US-Amerikaners Bobby Wood und die Fußspitze des bis dahin eher glücklosen Albin Ekdals (siehe Rand unten), die die gerade mal 44.445 Zuschauer in Ekstase versetzen.

„Es war ein tolles Kampfspiel von der ganzen Mannschaft“, sagte Wood, ähnlich ruhig und sachlich wie sein Trainer, eine Viertelstunde später. „Wir mussten uns da irgendwie durchbeißen.“ Lewis Holtby, der bei der üblichen Frage-und-Antwort-Runde nach den Spielen genau einen Meter neben dem Stürmer stand, nahm auch diesen verbalen Ball seines Kollegen gekonnt auf und pflichtete umgehend bei: „Wir sind eine Mannschaft, die dreckig sein muss, die über den Kampf kommen muss. Nur so haben wir eine Chance.“

Dass die Chance Klassenerhalt unbedingt wahrgenommen werden soll, machte Gisdols Elf gegen die kompakt stehenden und in der Defensive gut geordneten Berliner mehr als deutlich. So war Torhüter René Adler, dem vor acht Tagen in München die Bälle nur so um die Ohren gepflogen waren, an diesem Spieltag nahezu beschäftigungslos. „Die Hertha hatten ja eigentlich keine einzige Torchance“, sagte der Keeper, der sich im Eifer des Gefechts um genau eine Tormöglichkeit verrechnete. Denn kurioserweise war es Vladimir Darida, der nicht einmal 120 Sekunden vor dem Tor des Tages Herthas einzige echte Torchance der Partie vergab.

„Lange Zeit konnte man nicht von Fußball sprechen“, gab Berlins Trainer Pal Darbai ehrlich zu, der ebenso ehrlich die verdiente Niederlage einräumte: „Sagen wir mal so: Der Sieg des HSV war nicht unverdient.“ Und dann musste auch der Ungar seinem geschätzten Kollegen ein Kompliment aussprechen, wie der das epische 0:8 gegen die Bayern in nur einer Woche vergessen gemacht hatte: „Meinen Glückwunsch. Ich weiß, wie schwierig das ist, mit negativen Druck zu arbeiten.“

Gisdol bedankte sich artig und machte gegenüber Sky einmal mehr als deutlich, dass er durchaus gewillt ist, auch langfristig den Druck in Hamburg zu ertragen. „Wenn man solche Gespräche führt, dann muss das klassenunabhängig sein“, sagte Gisdol, der sich offenbar sogar einen Verbleib beim HSV im Falle der Fälle vorstellen kann. Doch dieser Fall, auch das machten Trainer und Mannschaft bei diesem 1:0 gegen Hertha sehr deutlich, soll und darf auch weiter ein rein theoretischer bleiben.