Hamburg. Der HSV-Stürmer ist fit, blieb vom 0:8-Trauma unbeschädigt und soll nun nach Halle und Köln auch Gladbach aus dem DFB-Pokal schießen

Das Objekt der Begierde wechselte am Dienstagnachmittag um kurz vor 16 Uhr nicht unbeobachtet den Besitzer. Zunächst war es Michael Gregoritsch, der – aufmerksam verfolgt von einer mutmaßlichen Trainingsbeobachterin aus Mönchengladbach – das orange­farbige Leibchen der Stammspieler zu Beginn des Abschlusstrainings vor dem heutigen Pokalspiel gegen die Borussia (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) tragen durfte, ehe HSV-Trainer Markus Gisdol den Österreicher und dessen Sturmkonkurrenten Bobby Wood zur Trikotübergabe an den Mittelkreis bat. Einmal ausziehen, einmal anziehen – und schon zückte die ­adrette Dame aus dem Westen der Republik ihren Block und vermerkte pflichtbewusst: Wood im A-Team.

Bobby Wood und sein zuletzt lädierter Oberschenkel sind also wieder da. Beim 2:2 gegen Freiburg wurden sie vermisst, beim 0:8 in München wurden sie schmerzlich vermisst. „Bobby war einsatzfähig. Ich hätte ihn bringen können“, sagte Trainer Gisdol. „Aber das Risiko zu gehen wäre bei dem Spielverlauf in München Blödsinn gewesen.“

Nach einem 0:8-Debakel ist es wohl auch ein wenig blödsinnig, die drei Wörtchen „was wäre wenn“ ernsthaft zu benutzen. Sicher hätte der HSV auch mit Wood in München böse verloren. Und trotzdem ist der Stürmer dank seines Nicht-Einsatzes so etwas wie der einzige Gewinner unter vielen Verlierern. Denn nicht nur Woods zuletzt verhärteter Oberschenkel ist wieder gelockert. Im Gegensatz zu manch einem Kollegen dürfte der verhinderte München-Versager auch geistig locker ins Millionenspiel gegen Gladbach gehen – sofern Gisdol ihn denn auch lässt.

„Bobby ist in einer bestechenden Form“, hatte der Coach seinen Angreifer gelobt, ehe bei diesem der Oberschenkel anfing zu zwicken. Nun steht Gisdol vor der Frage der Fragen: Soll er seinen besten Torjäger gegen Gladbach spielen lassen, dabei aber möglicherweise das so wichtige Bundesligaspiel gegen Hertha am Sonntag riskieren? Oder: Soll er Wood ein weiteres Mal schonen, dabei aber die dringend benötigte Wende nach dem 0:8 in München riskieren? Die Tendenz scheint klar: Gisdol wird wohl dreimal auf Wood klopfen – und den US-Stürmer endlich wieder von Anfang an bringen.

„Bobby ist so ein Spieler, der ganz stark das Vertrauen spüren muss“, sagt der Mann, der Wood als aller Erstes im Fußball das Vertrauen schenkte: Ernst Tanner lacht durch das Telefon. „Bobby brauchte früher ein wenig länger als manch anderer“, sagt der heutige Akademieleiter von Red Bull Salzburg, der Wood als 14-Jährigen in den Nachwuchs von 1860 München holte. „Sein Weg war damals nur schwer vorhersehbar“, sagt Tanner, der bis zu Woods Volljährigkeit sogar dessen Vormundschaft in Deutschland innehatte.

Der Wood-Entdecker hat den Weg seines einstigen Schützlings nie aus den Augen verloren. Erst 1860, dann Erzgebirge Aue, Union Berlin und nun der HSV. „Bobby brachte schon als Teenager eine ganze Menge Talent mit, aber man merkte ihm auch an, dass er in den USA lediglich Kick and Rush gespielt hat“, sagt Tanner. „Er hatte immer eine super Dynamik, Bobby wusste seinen Körper einzusetzen. Aber das Kombinationsspiel musste er erst noch lernen.“

Ähnliches war natürlich auch Jürgen Klinsmann aufgefallen, der in Woods Heimat der Erste war, der dem sensiblen Torjäger Vertrauen schenkte. „Bobby hat unglaubliches Talent, enormen Tatendrang und Hunger, sich durchzusetzen. Er hat sich alles hart erarbeitet und ist noch ganz am Anfang einer hoffentlich tollen Karriere“, sagt der ehemalige US-Nationaltrainer, der Wood 2013 erstmals für die A-Nationalmannschaft nominierte. Derzeit sei er gerade mit seinem Sohn Jonathan bei der Qualifikation zur U20-WM in Costa Rica, aber natürlich würde er auch dort versuchen, Woods Auftritt am Mittwoch gegen Gladbach zu verfolgen: „Ich schaue nach wie vor, was meine US-Boys jede Woche machen“, sagt Klinsmann, der sich auch weiterhin mit HSV-Sportdirektor Bernhard Peters und Trainer Gisdol über Wood austauscht. „Mit Markus habe ich den Vorteil, dass wir dabei unser Schwäbisch aufbessern können.“

Schwäbisch kann Peter Knäbel zwar nicht, sein Schwyzerdütsch ist mittlerweile aber sehr passabel. Doch auch ganz konservativ auf Hochdeutsch ist sich der frühere Sportchef des HSV sicher, dass Woods Weg in Hamburg noch lange nicht beendet ist. „Bobby hat noch enormes Entwicklungspotenzial“, sagt Knäbel, der gerade auf Hamburg-Besuch ist, allerdings kurz vor dem Anpfiff des Pokalspiels wieder in die Schweizer Wahlheimat zurückmuss. „Bobby hat das Zeug, ein richtig guter Bundesligastürmer zu werden.“

Knäbel war es auch, der sich kurz vor seiner Entlassung gegen Widerstände im eigenen Club durchsetzte und Wood aus der Zweiten Liga nach Hamburg lotste. „Ich habe ihn durch Zufall entdeckt“, gibt der Ex-Sportdirektor zu. Das erste Mal fiel ihm Wood beim Zweitligaspiel zwischen Aue und Braunschweig auf, wo Knäbel eigentlich den Flügelflitzer Gerrit Holtmann beobachtete. Zwei Wochen später war Knäbel dann beim Länderspiel der USA gegen die Niederlande, um Ron Vlaar zu scouten. „In beiden Spielen war Bobby bester Mann auf dem Platz“, erinnert sich Knäbel, der trotzdem im HSV Überzeugungsarbeit leisten musste, einen Stürmer aus der Zweiten Liga zu holen.

Nun ist Wood beim HSV Stürmer Nummer eins – und seit Kurzem auch als Elfmeterschütze eingeteilt. Am Dienstag ließ Gisdol im Training Elfmeterschießen üben, Wood verwandelte alle Versuche sicher. Der aufmerksamen Zuschauerin aus Mönchengladbach dürfte auch das nicht entgangen sein.