München/Hamburg. Die Hamburger reisten mit Hoffnung nach München und kehrten mit der gewohnten Klatsche zurück. Die Geschichte des erneuten Versagens

Es ist fast auf den Tag zwei Jahre her, da druckte das Abendblatt auf Seite 21 des Sportteils zwei große Zahlen. 0:8. Der HSV hatte gerade beim FC Bayern München seine höchste Niederlage der Bundesligageschichte erlebt. Sollte sich der eine oder andere Leser an diesem Montag irgendwie ins Jahr 2015 zurückversetzt fühlen, müssen wir Sie an dieser Stelle enttäuschen: willkommen im Jahr 2017.

Der HSV hat es vier Jahre nach dem 2:9 und zwei Jahre nach dem 0:8 geschafft, seiner Tradition treu zu bleiben. Wieder 0:8 hieß es an diesem Sonnabend in der Münchner Allianz Arena aus Hamburger Sicht. „Wunder gibt es immer wieder“, hatte das Abendblatt noch am selben Tag getitelt und an alte Heldentaten der Vergangenheit erinnert. In der Gegenwart erlebte der HSV zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren sein rotes Wunder. „Das ist ein schlimmer Tag, ein rabenschwarzer Tag“, sagte Sportchef Jens Todt.

Und so erstaunlich die Parallelen zur jüngsten Hamburger Vergangenheit in München auch aussehen, war die Stimmung an diesem Sonnabend irgendwie anders als vor zwei und vier Jahren. „Wir haben heute nur ein Spiel verloren“, sagte Trainer Markus Gisdol fast schon ein wenig trotzig. Und Torhüter René Adler, der schon vor vier Jahren beim 2:9 dabei war, sagte: „Wir haben versucht, uns auf die einzelnen Aktionen zu konzentrieren. Wenn es dann wieder acht Gegentore werden, dann ist es so.“ Die ganz normale Klatsche eben. Das Debakel von München ist zur Normalität verkommen.

Während die fassungslosen HSV-Fans vor vier Jahren noch mit einem Grillfest versöhnt werden mussten, nahmen die mitgereisten Anhänger die erneute Blamage diesmal mit Humor. Es lief die 80. Minute beim Spielstand von 0:7, da stimmten die HSV-Fans abwechselnd „Wer wird deutscher Meister? Ha-Ha-Ha-HSV“ oder auch „Auswärtssieg“ an. Als die Mannschaft nach dem Abpfiff in die Kurve schlich, sangen die Fans: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“ Keine Pfiffe, keine Häme.

Die Münchner Fans dagegen dürften noch an diesem Montag einen Ohrwurm des Bayern-Torsongs haben. Ein Remix von „The White Stripes“, der fast schon in Dauerschleife durch die Allianz Arena hallte. „Ich denke, die Zeiten der desaströsen Ergebnisse sind vorbei“, hatte HSV-Chef Heribert Bruchhagen noch vor dem Spiel gemutmaßt. Er sollte sich krachend täuschen.

Dabei hatte das Spiel des HSV gar nicht schlecht begonnen. In den ersten zehn Minuten traten die Hamburger mutig auf und erspielten sich ein Eckenverhältnis von 3:1 und ein Torschussverhältnis von 2:1. Nachdem Douglas Santos aus 25 Metern nur knapp neben das Tor von Manuel Neuer zielte (13.), spielten allerdings nur noch die Bayern. Es folgte ein Schützenfest in acht Akten:

17. Minute: Douglas Costa und David Alaba ziehen auf der linken Seite erstmals das Tempo an. Nach einem Doppelpass landet der Ball über Thomas Müller bei Arturo Vidal, der im Rückraum aus zwölf Metern zum 1:0 trifft. Adler ist nur noch mit den Fingerspitzen dran.

24. Minute: Mergim Mavraj kommt gegen Müller im Strafraum viel zu spät. Den fälligen Elfmeter verwandelt Robert Lewandowski lässig zu seinem ersten Treffer des Tages.

42. Minute: Lewandowski spielt mit Gideon Jung Katz und Maus und trifft mit einem Schuss durch die Beine des bemitleidenswerten Hamburgers.

54. Minute: Die Lewandowski-Show geht weiter. Nach einem Fehler von Sakai trifft der Pole aus 16 Metern mit einem überlegten Schuss ins lange Eck.

56. Minute: Die Bayern jetzt wie im Training: Lewandowski zu Müller, der auf Alaba – und der in das leere Tor. 5:0.

65. Minute: Johan Djourou will einen langen Hummels-Ball kontrollieren, doch die Kontrolle behält nur der eingewechselte Kingsley Coman, der Adler aus kurzer Distanz überwindet.

69. Minute: Wieder Coman gegen Djourou, wieder gewinnt der Franzose das Duell gegen den Schweizer. Der siebte Streich für die Bayern.

87. Minute: Einer geht noch. Einer fehlt noch. Der überragende Robben wackelt Mavraj und Albin Ekdal aus und trifft in typischer Robben-Manier von rechts mit links in die lange Ecke.

Acht zu null. Die schwarze Serie des HSV in München geht also weiter. 0:6, 0:5, 2:9, 1:3, 0:8, 0:5, 0:8. Sieben Pleiten in sieben Jahren. Mit sieben verschiedenen Trainern. Der HSV hat dabei allein in den vergangenen fünf Spielen in der Allianz Arena mehr Gegentore (33) kassiert als Bayerns Torhüter Manuel Neuer in seinen 60 Heimspielen (27) insgesamt. Aber auch das ist mittlerweile: irgendwie normal.

„Es schmerzt heute, und es schmerzt auch zu Recht“, sagte Trainer Markus Gisdol. „Wir haben es zu keinem Zeitpunkt geschafft, ein angemessener Gegner für die Bayern zu sein. Wir waren zu ehrfürchtig.“ Für Gisdol war es ein neues Gefühl. Für Torhüter Adler ein bekanntes – wenn auch nicht weniger schmerzhaftes. „Es tut immer wieder neu weh“, sagte Adler. „Ich habe mich noch nicht an hohe Niederlagen gewöhnt. Wenn es so weit ist, dann höre ich auch mit dem Fußballspielen auf.“

Doch so weit ist es noch nicht. „Uns hat man schon oft abgeschrieben. Das ist auch eine Motivation für uns“, sagte Abwehrchef Mergim Mavraj. Klar ist nach dem 0:8 vor allem eins: Auch in dieser Saison geht es für den HSV bis zum letzten Spieltag um den Kampf gegen den Abstieg. „Unser großes Ziel ist es, bis Mitte Mai genügend Punkte einzufahren, um über dem Strich zu stehen“, sagte Mavraj. Spätestens dann wäre es eine ganz normale HSV-Saison.

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