St. Moritz. Der 32-Jährige gewinnt die einzige deutsche Medaille bei den alpinen Ski-Weltmeisterschaften in St. Moritz

Dieser Schnee. Diese Sonne. Diese Berge, Festsaal der Alpen genannt. Felix Neureuther reißt in der Bilderbuchlandschaft von St. Moritz die Arme hoch. Kurz darauf fließen sogar Tränen. Jubel! Bronze! Plötzlich ist alles perfekt. „Es ist so emotional“, sagt Neureuther schluchzend und mit roter Nase. Eine große Erleichterung, die das ganze deutsche Team ansteckt.

Zwölf lange WM-Tage müssen die Deutschen auf ihre einzige Medaille warten. Im letzten Rennen erst kommt die Erlösung mit Neureuthers Stangentanz, der alle Rückenprobleme, die er vorher hatte, vergessen macht. Bis zu diesem Tag sind gute Ansätze im Team sicherlich zu finden, aber man muss sie lange suchen. Im Slalom am Abschlusstag schlägt sich Marcel Hirscher wieder einmal am besten durch den Stangenwald, gefolgt von seinem österreichischen Landsmann Manuel Feller.

Vom nahezu perfekten Stil verstehen sie etwas in der Schweiz. Ob das nun für das Design ihrer Uhren, für die Form ihrer Berge oder für ein Skifest gilt. Rund 150.000 Zuschauer sind an den zwölf WM-Tagen an die Corviglia, den St. Moritzer Hausberg, gereist. Und das Engadin hat zum Finale noch einmal ein Blau angerührt, das man ausschneiden und mitnehmen möchte. Medaillen rieseln bis dahin aber nicht herab auf die deutschen Fahrer. Erst auf den letzten Drücker poliert Neureuther die Schreckensbilanz ein wenig auf.

Wie viel Neureuther seine dritte Einzelmedaille nach Silber 2013 und Bronze 2015 bedeutet, ist nicht zu überhören und nicht zu übersehen. „Hier schließt sich für mich ein Kreis“, sagt der 32-Jährige. Vor 14 Jahren hat er an gleicher Stelle seinen ersten WM-Auftritt – und am gestrigen Sonntag wohl seinen letzten. Es ist ein hoch emotionaler Moment. Er stammelt, weil er nicht weiß, wie er seine Gefühle in Worte fassen soll. Er wirkt beinahe wie in Trance. Und eines ist ihm ganz besonders wichtig. „Diese Medaille“, sagt er unter Tränen, „gehört der Miri“, seiner nicht für die Biathlon-WM nominierten Freundin Miriam Gössner. „Der geht es zu Hause nicht so gut.“ Es ist selten, dass Neureuther über Gössner spricht. „Egal, wie schlecht es ihr ging, sie ist immer da gestanden und hat mich immer aufgebaut. Das ist menschlich für mich sehr, sehr groß, auch, dass sie sich nie beklagt, sie hat sich nie wichtig genommen, das zeigt den Charakter eines Menschen. Deswegen gehört mindestens die Hälfte ihr“, sagt er nachdenklich, als er sich wieder ein wenig gefasst hatte. Dann grinst er und versichert: „Jetzt geht’s ihr schon wieder besser.“

Pechvogel des Vormittags war Stefan Luitz. Er verliert während des ersten Durchgangs früh seinen linken Schienbeinschoner und muss mehr als die Hälfte des Rennens mit blankem Bein herunterbringen. Er ärgert sich. Über die blauen Flecken und das Ergebnis, denn er ist raus. Von drei Medaillen ist vor der Reise in die Schweiz die Rede, der Verband rechnet damit, dass eine bei den Frauen, eine bei den Männern und eine im Teamwettbewerb herausspringen könnte. Mit zunehmender WM-Zeit scheint ein weiterer verbaler Angriff auf die Plätze eins bis drei aber so weit zu entrücken, wie die Ausrichtung einer Ski-WM auf dem Mond. „Ich denke nicht an die Medaille“, sagt selbst Neureuther nach dem ersten Durchgang im Slalom noch, obwohl er als Zehnter bloß den Wimpernschlag von 28 Hundertstelsekunden Rückstand auf Platz drei entfernt liegt.

Wenig später startet er seine sagenhafte Aufholjagd, und auf der Pressekonferenz wird er später zum Hauptdarsteller. Als der Österreicher Feller gerade zu seinem zweiten Platz befragt wird, steigt Neureuther mit auf das Podium, platzt in das Interview und piesackt den jungen Rivalen mit lustigen Fragen und der nicht ernst gemeinten Feststellung, dass dieser doch nur viel Glück gehabt habe. Irgendwann meint Feller lachend: „Geh, schmeißt ihn endlich raus, bitte!“