Hochfilzen. Laura Dahlmeier gewinnt bei den Weltmeisterschaften in Hochfilzen fünf Titel. Das schaffte vor ihr noch niemand

Nach ihrem Wahnsinnstrip in die Geschichtsbücher konnte Laura Dahlmeier beim Siegerfoto ihre Medaillensammlung fast nicht festhalten. Simon Schempp beendete mit dem Titel im Massenstart (siehe Text links) seinen persönlichen WM-Fluch: Die deutschen Biathleten haben mit einem letzten Kraftakt für einen denkwürdigen Abschluss der WM in Österreich gesorgt und mit sieben Goldmedaillen so viele geholt wie noch nie. „Ein Traum ist wahr geworden. Vorher hätte ich nicht geglaubt, dass das möglich ist“, sagte die sechsfache Medaillengewinnerin aus Garmisch-Partenkirchen, die sich im 12,5-Kilometer-Massenstart mit ihrem fünften WM-Titel zur neuen Biathlon-königin krönte und Rekorde aufstellte, die wohl sehr lange Bestand haben werden. Dahlmeier, die bei vier Schießen 20-mal ins Schwarze traf, verwies die überraschend starke US-Amerikanerin Susann Dunklee und Kaisa Mäkäräinen aus Finnland auf die Plätze.

Insgesamt holten die Deutschen in Tirol mit den Erfolgen von Dahlmeier, Schempp, Sprintweltmeister Benedikt Doll (Breitnau) und den Siegen in der Damen- und Mixedstaffel acht Medaillen und damit eine mehr als 2016 in Oslo. Bundestrainer Gerald Hönig gehen derweil langsam die Superlative aus. „Da fehlen die Worte. Dass eine die Szene so beherrscht, daran kann ich mich nicht erinnern“, sagte der 58-Jährige. Dahlmeiers Bestmarken sind beeindruckend: Als Erste im Biathlonsport überhaupt gewann sie bei einer WM fünf Titel. Die nun siebenmalige Weltmeisterin schaffte mit Gold in der Verfolgung, im Einzel, Massenstart, der Damen- und Mixedstaffel sowie Silber im Sprint als Erste elf WM-Medaillen in Serie. Als erst dritte Biathletin holte sie bei einem Championat in allen sechs WM-Rennen eine Medaille. Zuvor hatten es die Norweger Liv Grete Poiree (2004), Tora Berger (2013), Ole Einar Björndalen (2005/2009) und Emil Hegle Svendsen (2013) sowie Martin Fourcade (2016) auf vier Goldmedaillen gebracht.

„Es ist gigantisch. Mich von Rennen zu Rennen wieder aufs Neue zu konzentrieren, war vielleicht der Schlüssel zum Erfolg. Aber jetzt freue ich mich vor allem darauf, nach Hause zu kommen und in den Bergen Ruhe zu finden“, sagte die passionierte Bergsteigerin, die auf dem Weg zur erfolgreichsten Deutschen bei einer WM auch zwei Schwächeanfälle nach dem Staffel- und Einzelsieg nicht stoppten. „Die Zweifel gab es mehr um mich herum. Ich habe mich schnell wieder gut gefühlt und wollte noch einmal Vollgas geben“, sagte sie. Dass sie das Staffelgold als ihren schönsten Titel in Hochfilzen bezeichnete, sagt zudem eine Menge aus über Laura Dahlmeier – und ihre menschliche Größe.

„Wir müssen schon sagen, dass wir ohne Laura keine Einzelmedaille haben. Eine Doppelabsicherung wäre mir lieber, als nur auf die Laura setzen zu müssen“, bekannte Hönig. Sein Männerkollege Mark Kirchner resümierte: „Was die vier die vergangenen Jahre und hier gezeigt haben, das spricht Bände.“ Aber: Hinter Schempp, Doll, Arnd Peiffer und Erik Lesser klafft eine große Lücke. Die Weltcup-Gesamtführende Dahlmeier schickt sich derweil an, in naher Zukunft Magdalena Neuner (zwölf Titel) als Rekordweltmeisterin zu entthronen. „Was sie macht, ist außergewöhnlich. Laura ist die Königin der WM und vielleicht auch nächstes Jahr von Olympia“, sagte Frankreichs Superstar Martin Four­cade. Fußball-Weltmeister Lukas Podolski twitterte: „Dahlmeier die neue Magdalena Neuner.“ Aber was macht Dahlmeier so stark? Ihre Komplexität, die nur wenige haben. Sie gewinnt in allen Disziplinen. Sie ist extrem laufstark, abgezockt beim Schießen, kann taktisch auf Situationen reagieren. Sie hat eine enorme mentale Stärke, geht über körperliche Grenzen wie bei ihren beiden Schwächeanfällen nach Staffel- und Einzelgold gesehen.

All das hat neben ihrem gegebenen Talent nicht zuletzt etwas mit Dahlmeiers Passion, dem Bergsteigen, zu tun. Bei ihren Touren in Nepal, den Alpen oder in Kalifornien muss sie auch cool sein und das Risiko kalkulieren, diese Fähigkeiten transportiert sie in den Biathlonsport. Aus dem Bergsteigen zieht sie ihre Kraft, ihre innere Balance, die sie braucht, um in der Loipe erfolgreich zu sein.

Und Dahlmeier jagt dem Erfolg nicht zwanghaft hinterher. Sie nimmt sich die Auszeiten und Freiheiten, die sie braucht, ob es anderen passt oder nicht. Lässt man ihr diese, kann Dahlmeier über Jahre die Szenerie dominieren wie bei den Männern Four­cade. Eine zweite Gold-Lena, die sich perfekt für die Massen vermarkten lässt, wird Dahlmeier wegen ihres fehlenden Glamour-Faktors nicht. Und sie will und braucht das nicht. Dazu ist ihr ihre Freiheit zu wichtig. „Jeden Schmarrn würde ich nicht machen. Sich komplett zu verkaufen und nur das Geld in den Augen blitzen zu sehen – das bin nicht ich“, sagte Dahlmeier. (HA)