Hamburg. Nach mehr als sechs Jahren darf man sich wieder über zwei Siege in Folge von HSV und St. Pauli freuen. Ein Vergleich der Unvergleichbaren

Carsten Harms

Am Montagmorgen ist Olaf Gladiator noch immer ganz aus dem Häuschen. „So ein Wochenende ist schon was Feines“, sagt der Versicherungskaufmann, der sogar doppelten Grund zur Freude hatte: Erst war es der HSV, sein HSV, der die 3:0-Sensation in Leipzig schaffte. Dann zog einen Tag später der FC St. Pauli, sein FC St. Pauli, nach und gewann mit 2:0 gegen Dynamo Dresden. „Da lacht mein hanseatisches Fußballherz“, sagt Gladiator, der einer der wenigen Hamburger ist, der sich gleichermaßen mit Rothosen und Braun-Weißen freut. Mehr noch: Gladiator hat für beide Clubs eine Dauerkarte. HSV oder St. Pauli? Es kann nur einen geben? Von wegen: Hamburg First, lautet Gladiators Motto!

„Ich könnte mich glatt daran gewöhnen, dass beide Clubs am Wochenende gewinnen“, sagt der Fußballfan, der zudem auch noch beim SC Vier- und Marschlande als Betreuer aktiv ist. 52 Jahre ist er alt. Und mit seinen beiden Lieblingsclubs hat Gladiator schon jede Menge erlebt. Gladiator ist in zwei HSV-Fanclubs („Elbe 78“ und „Fans von der Waterkant“) und in einem St.-Pauli-Fanclub („Fanclub ohne Namen“). Doch an je zwei Siege in Folge, die beiden Clubs seines Herzens zeitgleich gelingen, kann sich der Hamburg-Anhänger nun wirklich nicht erinnern. „Das muss verdammt lange her sein“, sagt er.

Tatsächlich ist „verdammt lang“ bereits sechseinhalb Jahre her, als den beiden Hamburger Fußballclubs dieses Zeitgleich-Kunststück gelungen ist: am siebten und achten Spieltag der Saison 2010/2011 war es, als der HSV Kaiserslautern mit 2:1 und Mainz 05 mit 1:0 besiegte und der FC St. Pauli in Hannover 1:0 und am Millerntor gegen Nürnberg mit 3:2 gewann. „Eigentlich sind die beiden Clubs und ihre jetzigen Erfolge nullkommanull vergleichbar“, sagt Gladiator, dem trotzdem die eine oder andere Parallelität aufgefallen ist. Der Vergleich von zwei Unvergleichbaren:

Die Trainer

HSV-Coach Markus Gisdol und St. Paulis Trainer Ewald Lienen könnten unterschiedlicher kaum sein. Der eine (Gisdol) eher ein moderner Trainer, der das schnelle Vertikalspiel und das hartnäckige Pressing predigt. Der andere (Lienen) scheint allein schon wegen seines Alters von 63 Jahren eher ein Fußballlehrer alter Prägung zu sein. Er ist jedoch ungemein wissbegierig und neuen Trends gegenüber nicht per se abgeneigt. Auch wenn die beiden grundverschiedene Ansätze verfolgen, gehen sie mit ihren Ideen allerdings voran und gelten als Aushängeschilder ihres Clubs. Gisdol ist neu beim HSV, Lienen ist schon seit gut zwei Jahren beim Kiezclub – hat aber seit Anfang November mit Assistenztrainer Olaf Janßen einen neuen, extrem wichtigen Impulsgeber. Der 50-Jährige leitet in der Regel die Trainingseinheiten, erklärt den Spielern prägnant und verständlich die Übungsformen und erläutert, welchen Sinn sie haben. Lienen kann sich dank Janßen stärker in die Rolle des Beobachters begeben und bei Bedarf gezielt eingreifen.

„Es wäre schön, wenn sich der HSV bei seiner Trainerpolitik etwas vom FC St. Pauli abschaut“, sagt Gladiator. „Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn Herr Gisdol auch mal ein wenig länger bleibt als seine zahlreichen Vorgänger.“

Die Sportchefs

Verantwortlich für die Trainerpolitik sind in erster Linie die Sportchefs – und die sind bei beiden Clubs neu. Der eine (HSV) hat nach langer Suche nun Jens Todt gefunden, der andere (St. Pauli) sucht noch immer – und setzt vorerst als Übergangslösung auf Geschäftsführer Andreas Rettig als Interimsnachfolger für den beurlaubten Thomas Megg­le. Den beiden Ex-Freiburgern Todt und Rettig sagt man gleichermaßen nach, dass sie auch gern über den Tellerrand des Fußballs hinausgucken – dabei aber keinesfalls ihre Hausaufgaben vernachlässigen. Und die Hausaufgaben des Winters lauteten: Sofortverstärkungen holen – gleichzeitig aber teure oder ungeeignete Spieler abgeben! „Der HSV und St. Pauli hatten eine Grundüberholung nötig“, sagt Gladiator.

Winterzugänge

Wie soll man nun aber die Einkaufspolitik des Hamburger Erstligisten, der mehr als zwölf Millionen Euro für Mergim Mavraj, Walace und den ausgeliehenen Kyriakos Papadopoulos bezahlt hat, und des Hamburger Zweitligisten, der für Johannes Flum und die ausgeliehenen Lennart Thy und Mats Möller Daehli null Euro ausgegeben hat, vergleichen? Ganz einfach: „Unter dem Strich muss man schauen, ob die Mannschaft durch die Neuzugänge besser geworden ist“, sagt Gladiator. Das Zwischenfazit beim HSV fällt eindeutig aus: Mavraj, Walace und Papadopoulos sind voll eingeschlagen, haben die in der Hinrunde wackelige Defensive stabilisiert und sorgen sogar für Akzente in der Offensive. Zuletzt spielte der HSV gleich dreimal in Folge zu null. „Mit den Neuen schafft der HSV die Wende“, sagt Gladiator.

Beim FC St. Pauli ist die Bewertung der Neuen etwas differenzierter. Flum und Möller Daehli bringen mit ihrer Ballsicherheit eine neue Qualität ins Team. Stürmer Thy kann dagegen noch nicht überzeugen. Ihm ist der Mangel an Spielpraxis in den vergangenen Monaten anzumerken.

Winterabgänge

Manchmal ist aber gar nicht so wichtig, wer gekommen, sondern eher, wer gegangen ist. Mit Cléber, Halilovic und vor allem Emir Spahic hat Todt zumindest drei von sechs Profis abgegeben, die auf der internen Streichliste standen. Auch Nabil Bahoui, Aaron Hunt und Pierre-Michel Lasogga hätte der HSV gern abgegeben, muss sich aber bei keinem Sorgen um den Betriebsfrieden machen. Das wäre bei Halilovic und Spahic anders gewesen – ein Bleiben der schwierigen Charaktere wäre zur Belastungsprobe für den Teamgeist geworden.

Dies traf bei St. Pauli auf „Fafa“ Picault zu, dem die im Abstiegskampf nötige Fitness fehlte. Marvin Ducksch und Jacob Rasmussen waren entbehrlich, Vegar Eggen Hedenstad brachte dem Club eine nennenswerte Ablösesumme und kann intern ersetzt werden.

Umfeld

Laut Doppelfan Gladiator könnte sich der große HSV vom kleinen FC St. Pauli sogar etwas abschauen: „Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen des HSV genauso besonnen ihrer Arbeit nachgehen könnten wie beim FC St. Pauli“, sagt Gladiator, der durch die Verpflichtung von Heribert Bruchhagen den HSV aber auf einen guten Weg sieht: „Mit ihm entwickelt sich der HSV zu einem normalen Bundesligaclub und muss sich nicht mehr um sein Chaos­image sorgen.“ Bei St. Pauli bewahrten die Führungsgremien tatsächlich trotz prekärer Situation Ruhe und trafen geräuschlos ihre Personalentscheidungen. Gladiators Fazit: „Ich bin mir sicher, dass beide Clubs die Liga halten.“

Gerade nach Doppelsiegen hat Olaf Gladiator durchaus Spaß daran, ungläubigen Fußballfans von seiner gleichzeitigen Liebe zum HSV und zum FC St. Pauli zu berichten. Und für Dogmatiker, die ihn partout nicht verstehen wollen, kann Gladiator sogar noch einen draufpacken. „Ich habe sogar noch eine dritte Dauerkarte“, sagt er, und grinst schelmisch. „Für Werder Bremen.“