Hamburg. Die Hamburger Vereine wünschen sich breitere Unterstützung bei der Integration von Flüchtlingen. Sie ringen auf 50 Jahre alten Matten.

Natürlich können auch starke Männer sentimental sein, also erlaubt sich Karsten Kretschmer einen Moment der Gefühlsduselei. „Hat sich sehr verändert, die Halle hier. Ist richtig schön geworden“, sagt Hamburgs bester Wrestler. Und er muss es wissen, immerhin liegen hier, am Eulenkamp, die Wurzeln der Karriere, die den 41-Jährigen in Europas Spitze führte. Beim Wandsbeker Athleten-Club (WAC) begann er als Schüler mit dem Ringen. Ehrensache also, dass er am Sonnabend als Besucher zur Offenen Hamburger Meisterschaft im Freistilringen gekommen ist, die der WAC als Ausrichter verantwortet.

Kaum Unterstützung trotz vieler Flüchtlinge

Als Kretschmer noch für den 1879 gegründeten und damit ältesten Ringerverein Europas auf die Matte ging, gehörte die Halle noch nicht zur Berufsschule für Medien und Kommunikation. Die Matte allerdings, auf der gekämpft wird, die gab es damals schon. „Das Ding ist 50 Jahre alt, da hat sogar schon mein Vater drauf gekämpft“, sagt Kretschmer, und hat damit eins der Probleme des olympischen Traditionssports – seit 1896 durchgehend im Programm der Sommerspiele – aufgespießt. Finanzielle Unterstützung, die dringend benötigt würde, um die Integrationsarbeit zu bewältigen, die sich durch die Flüchtlingsströme aus Nahost stark verdichtet hat, gibt es kaum.

Kretschmer steht mit Wollmütze auf dem kahlen Schädel am kleinen Imbissstand. Dort werden Frikadellen und Wurst angeboten, eine Portion inklusive Nudelsalat kostet 1,50 Euro, man kann wählen zwischen Schwein und Geflügel, und das ist wichtig, denn rund 80 Prozent der 100 teilnehmenden Athleten sind Muslime. Kasib Salamzadeh, Nesar Hajizadeh, Anwar Asimi, Ghazwan Badam, Kam Gairbekov, Mohamed Gunaev, Furkan Paylam und Ismael Hossaini, das sind die Namen der Sportler, die in ihren Gewichtsklassen die Stadtmeisterschaften gewinnen. Bei den 21 Jugendklassen sieht es nicht anders aus.

Ringen auf einer 50 Jahre alten Matte

Für Manfred Lüders ist das gelebter Alltag. Der 69-Jährige ist Sportwart beim WAC, und er ärgert sich seit Jahren darüber, dass man die sieben verbliebenen Hamburger Ringervereine mit ihren rund 280 Mitgliedern, 150 davon beim größten Club SC Roland, in ihrer Arbeit allein lasse. „Es ist ein Trauerspiel, was in der selbst ernannten Sportstadt Hamburg passiert. Wir leisten harte Integrationsarbeit, damit sich die Flüchtlinge in ihrem Sport wohlfühlen, aber müssen noch draufzahlen, anstatt Hilfe zu erhalten“, schimpft er. Das mit der Matte stimme, die sei tatsächlich 50 Jahre alt. „Eine neue kostet 10.000 Euro, das können wir uns nicht leisten“, sagt er.

Tatsächlich hat sich mit dem Zustrom von Menschen aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran, wo das Ringen Nationalsport ist, die Situation in den Vereinen verschärft. Zwar gebe es keinerlei Nachwuchssorgen mehr, auch wenn jugendliche Ringer oft zum rasant wachsenden Mixed Martial Arts abwandern, sagt Thomas Matz, seit 2013 Präsident des Hamburger Ringer-Verbands und gleichzeitig Vorsitzender und Trainer beim SC Roland. „Dafür müssen wir aus der Masse derjenigen, die meinen, dass sie die Besten sind, die herausfiltern, die wirklich Qualität haben.“ Dabei stoße man immer wieder an die Grenzen der personellen und räumlichen Möglichkeiten.

Konflikte auf der Matte austragen

Auch der Verwaltungsaufwand sei immens. Sportler, die bereits in organisierter Form Wettkämpfe betrieben haben, müssen beim deutschen Verband gemeldet werden – für eine Gebühr von 250 Euro, die der Verein zu tragen habe. Außerdem müsse aus dem Herkunftsland eine Freigabe erbeten werden. Das könne Monate dauern. „Dann sind die Sportler manchmal schon einer neuen Flüchtlingsunterkunft außerhalb Hamburgs zugeteilt worden“, sagt Matz, der regelmäßig als Krisenhelfer intervenieren muss, wenn die verschiedenen Nationalitäten die Konflikte aus ihrer Heimat auf der Matte weiterführen.

Dennoch sind Idealisten wie er, Lüders oder auch Ole Peters überzeugt davon, mit ihrem Sport die richtige Wahl getroffen zu haben. Peters (28) ist gebürtiger Hamburger ohne Migrationshintergrund – und als solcher fast schon ein Exot beim WAC, für den er seit 24 Jahren antritt. „Mir macht es Spaß, an der Integrationsarbeit teilzuhaben und Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen kennen zu lernen“, sagt der 102 Kilogramm schwere Tiefbaufacharbeiter. Wichtig sei, dass es mit der deutschen Sprache ein allgemein gültiges Verbindungsglied gebe.

Disziplin beim Ringen lernen

„Und am Ende halten sich alle doch an die Regeln, weil durch den Sport Disziplin gelehrt wird“, sagt Janine Neumann. Die 39-Jährige, alleinerziehende Mutter von sieben Kindern, Jugendwartin bei Roland und bei den Meisterschaften als einzige weibliche Kampfrichterin aktiv, kann das perfekt beurteilen, schließlich geben ihr auch die Muslime die Hand, die das Berühren fremder Frauen aus religiösen Gründen normalerweise ablehnen.

Zu begründen, warum es sich also lohnt, das Ringen zu fördern, fällt Karsten Kretschmer deshalb leicht: „Weil es einfach ein geiler Sport ist.“