Hamburg. Der Olympiasieger absolviert heute den Medizincheck. Bleibt die Frage, ob er auch sofort weiterhelfen kann

Es war eine gemütliche Runde, die sich am späten Mittwochabend im Paris 6 in Rio de Janeiro zusammensetzte. HSV-Sportchef Jens Todt, der brasilianische Spielerberater Fabiano, zwei Mitarbeiter aus der Agentur Football Capital und ein freundlicher, aber etwas schüchterner Fußballer waren in das Restaurant in Rios Nobelviertel Barra de Tijuca in der Avenida Érico Veríssimo gekommen, das besonders für sein Steak Tartare bekannt ist. An diesem Abend war Todt allerdings auf einen ganz anderen Leckerbissen aus: Walace Souza Silva, der schüchterne Fußballer, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Walace.

„Der Spieler möchte sehr gerne zu uns“, wusste Todt, mittlerweile wieder zurück in Europa, drei Tage später zu berichten. Nur einen Haken gebe es an der ganzen Geschichte: „Es gibt leider noch keine Einigung zwischen uns und Walaces Club Grêmio Porto Alegre.“

Am Sonntagabend hatte sich dieser letzte Haken erledigt. Der HSV und Grêmio haben sich offenbar auf eine Ablöse von zehn Millionen Euro für den 21 Jahre alten Südamerikaner geeinigt, der an diesem Montag in Hamburg seinen Medizincheck absolviert. Porto Alegre bestätigte am Abend den Abflug des Spielers in die Hansestadt. Spätestens am Dienstag bis um 18 Uhr muss der HSV sämtliche Unterlagen an die DFL schicken, um den komplizierten Deal mit dem Olympia-Goldmedaillengewinner, an dem noch zwei Konsortien mit jeweils 20 Prozent der Transferrechte beteiligt sind, rechtzeitig vor dem Ende der Transferfrist perfekt zu machen.

„Ich bin vorsichtig optimistisch“, sagte Todt, der vor einer Woche Rogério Braun, Chef der Agentur Football Capital, in Hamburg traf und sich vor dem Abendessen im Paris 6 beim Länderspiel Brasilien gegen Kolumbien (1:0) selbst noch ein Bild von dem Nationalspieler der Seleção machte. Sein Urteil: „Man muss ihm eine gewisse Anpassungszeit zugestehen. Aber Walace hat das Potenzial, dies sehr schnell hinzubekommen.“

Tatsächlich gilt der defensive Mittelfeldmann in Brasilien schon lange als Schnelllerner. So landete der 1,88 Meter große Fußballer 2013 als 18-Jähriger zunächst nur durch einen Zufall im Nachwuchs von Grêmio Porto Ale­gre, weil der Club den Youngster beim Verkauf von Marquinhos nach Avaí verrechnete. Seinerzeit entdeckte Luiz Felipe Scolari, Brasiliens ehemaliger Nationaltrainer, Walace im Grêmio-Nachwuchs und zog den Schlacks zu den Profis hoch. Ausgerechnet beim sogenannten Gauchoderby zwischen Grêmio und International durfte der damals 20-Jährige erstmals für die Profis auflaufen, überzeugte direkt und ist seitdem im Grêmio-Mittelfeld gesetzt.

Ein Jahr lang spielte er an der Seite vom früheren Hamburger Zé Roberto auf Porto Alegres Doppelsechs. „Wa­lace ist ein hochveranlagter Spieler, der sein Talent noch nicht ganz ausgeschöpft hat“, sagt Jeremias Wernek, der für UOL Esporte Walaces Weg seit Jahren verfolgt. „Mittlerweile ist er einer von Brasiliens besten Spielern im defensiven Mittelfeld. Er kann ein Spiel kontrollieren, bewegt sich intelligent in den Zwischenräumen, hat ein sicheres Kurzpassspiel, könnte aber seine langen Pässe verbessern“, sagt der Journalist. „Er braucht einen guten Trainer, damit er sich weiter so gut entwickelt.“

Dieser gute Trainer will Markus Gisdol sein, der dem Umworbenen bereits vor der offiziellen Verkündung des Transfers den Rücken stärkt: „Man darf nicht erwarten, dass ein Neuer Wunderdinge vollbringt. Wir müssten ihm schon eine gewisse Eingewöhnungszeit zugestehen.“ Das Problem sei nur, dass der HSV diese Zeit eigentlich gar nicht habe. „Das stimmt“, sagt Gisdol. „In genau diesem Zwiespalt bewegen wir uns.“

Nach Abendblatt-Informationen hat sich der HSV zuvor Absagen von den Bundesliga-Sofortverstärkungen Pirmin Schwegler und Eugen Polanski (beide Hoffenheim) abgeholt. „Die Deutschen, an denen wir Interesse hatten und die Bundesliga-Erfahrung haben, haben wir nicht bekommen“, gibt Gisdol unverblümt zu, sagt aber gleichzeitig: „In dem einen oder anderen Spiel würde Walace uns jetzt schon direkt helfen. Aber so ein Spieler ist vor allem ein Spieler mit großem Entwicklungspotenzial.“ Walace sei „eine Lösung für die Zukunft des Vereins“.

Um die Zukunft des HSV mitzubestimmen, muss es in der Gegenwart zunächst einmal schnell gehen. Medizincheck, letzte Detailverhandlungen mit Grêmio und den beiden Rechteteilhabern aus Porto Alegre und Santa Catarina – das alles soll im Laufe dieses Montags über die Bühne gehen. Zeit wollen sich die HSV-Verantwortlichen erst nach der Unterschrift nehmen. Ob Walace schon eine Option für die Begegnung gegen Leverkusen sei, wollte einer am Sonntag von Trainer Gisdol wissen. „Auf keinen Fall“, so dessen unmissverständliche Antwort. Der letzte Trumpf im Abstiegskampf soll stechen – aber bitteschön ganz in Ruhe.