Hamburg/INgolstadt. Beim 1:3 in Ingolstadt wurde mehr als deutlich, dass der HSV den nötigen Ernst der Lage nicht erkannt hat. Gisdol droht mit Konsequenzen

Der sprichwörtliche Ball lag am Sonntagmorgen auf dem imaginären Elfmeterpunkt und musste nur noch verwandelt werden. „Es wäre ja schön, wenn sich die HSV-Profis auf ihrem Terrain auch nur im Ansatz so zurechtfinden würden“, scherzte schließlich unter lautem Gejohle ein Trainingszuschauer im Volkspark, als zum wiederholten Male ein Hobbyläufer des OSC Hamburg mit einer kleinen Landkarte am Trainingsplatz des HSV vorbeilief, um seine Laufkarte auf der verlängerten Höhe der Mittellinie abzustempeln. Lautes Gelächter, Elfmeter verwandelt. Orientierungslauf heißt die Sportart, bei der die Läufer eine Route mit einer gewissen Anzahl von Posten ablaufen müssen.

Mit der Orientierung hatten die Fußballer des HSV tatsächlich schon am Vortag im 700 Kilometer entfernten Ingolstadt so ihre Probleme. Mit 1:3 verlor der HSV das zuvor als „Königsspiel“ (O-Ton Heribert Bruchhagen) bezeichnete Abstiegsduell, was die Verantwortlichen des HSV umgehend alarmierte. „Wir haben heute gesehen, wie Abstiegskampf geht. Leider haben wir es nicht gezeigt, sondern der Gegner“, sagte Sportchef Jens Todt wenige Minuten nach dem desaströsen Auftritt. „Das war nicht nur vom Ergebnis her enttäuschend, sondern auch von der Leistung.“

Besonders die erste Halbzeit, die sich mit den ersten 45 Minuten gegen Dortmund (2:5) und den zweiten gegen Frankfurt (0:3) um den inoffiziellen Titel „schlimmste Halbzeit der Saison“ streiten darf, ärgerte die Hamburger. Die HSV-Profis, die in der Theorie mit einstudiertem Vertikalspiel zum Erfolg kommen wollen (das Abendblatt berichtete), droschen ganz praktisch den Ball vertikal nur ins Aus, verloren alle wichtigen Zweikämpfe und fanden zu keinem Zeitpunkt eine Lösung für die unschöne Aufgabenstellung „Minus-drei-Grad-Ingolstadt-harter-Boden-und-noch-nicht-mal-15.000-Zuschauer“. „Wir haben das Spiel speziell in der ersten Halbzeit nicht so angenommen, wie wir das hätten machen müssen, um hier dagegenzuhalten“, schimpfte am Sonnabend Trainer Markus Gisdol, der sogar noch deutlicher wurde: „Die erste Halbzeit ist so nicht zu tolerieren.“

So konnten Pascal Groß (14.) und Markus Suttner (22.) die Partie bereits im ersten Durchgang entscheiden, ehe der in der Halbzeit eingewechselte Dennis Diekmeier nur Sekunden nach dem Wiederbeginn ein letztes Ausrufezeichen unter den gruseligen Aufritt setzte. „Ich habe meinen Gegenspieler null gesehen und renne ihn um. Das ist natürlich ärgerlich“, sagte der Rechtsverteidiger, dessen Foul zum Elfmeter und der endgültigen Vorentscheidung durch Almog Cohen (47.) führte. Das größte HSV-Problem: Die Orientierung fehlte nicht nur in dieser Situation.

„Ich schlafe nach Spielen grundsätzlich nicht gut“, sagte Gisdol am Morgen nach dem orientierungslosen Auftritt im fernen Süden. „Aber nach der Partie in Ingolstadt war meine Nacht noch einmal schlechter.“ Was den Trainer so um den Schlaf brachte: „Im Dezember, als wir unsere gute Phase hatten und gepunktet haben, scheint der eine oder andere diese Erfolgsphase falsch gedeutet zu haben und davon ausgegangen zu sein, dass das eine oder andere von alleine läuft.“ Der Coach macht eine kurze Pause, holt tief Luft und wird zur Verstärkung seiner Worte lauter: „Genau das ist nicht der Fall.“

Am frühen Sonntagmorgen baten Gisdol und Todt zur ausführlichen Mannschaftsbesprechung. „Die Niederlage war ein herber Rückschlag und wir müssen offen darüber reden, was in Ingolstadt nicht gut war“, sagte Todt, der sich auch am Tag nach dem 1:3 noch nachhaltig ärgerte. „Es war vieles nicht gut. Wir dürfen es uns in dieser Situation nicht erlauben, dass der Gegner den Sieg mehr will als wir.“

So steht der HSV nach zwei Spielen im Jahr 2017 – wieder einmal – auf einem historischen Tiefpunkt: 13 Punkte nach 18 Spielen hat es in der langen Bundesligageschichte des HSV noch nie gegeben. „Man muss von allen Jungs auch ganz klar erwarten, dass jeder die Verantwortung, die er im Spiel hat, übernimmt“, sagt Neuzugang Mergim Mavraj, der auf Nachfrage noch deut­licher wird: „Es ist schwer im Mannschaftssport, wenn das nur einige tun. Es funktioniert nur, wenn wir als Mannschaft geschlossen auftreten.“

Die nächste Chance zum geschlossenen Orientierungslauf haben die Hamburger am Freitag, wenn statt des OSC Hamburg die Fußballer von Bayer Leverkusen in den Volkspark kommen. Zum Schluss noch ein kleiner Tipp aus dem Orientierungslauf-Handbuch: Nicht immer ist der kürzeste Weg auch der beste Weg zum Ziel.