Paris. Trotz des Ausscheidens im Achtelfinale wähnen sich die deutschen Handballer auf Kurs Richtung Heim-WM.

Ein nicht enden wollender Hustenanfall schüttelte Dagur Sigurdsson. Immer wieder setzte er zum Sprechen an, nahm einen Schluck Wasser. Dann stand er einfach auf und ließ die letzten Fragen unbeantwortet. Er war ein unrühmlicher Abschied des Handballbundestrainers. Am nächsten Tag stand er auch nicht mehr für ein Gespräch zur Verfügung. Mittags in Berlin angekommen, verließ er wortlos das Terminal C am Flughafen Tegel.

Wer konnte es dem Isländer verübeln, die bittere Niederlage im WM-Achtelfinale gegen Katar (20:21) war nicht das, was er sich für seine Mannschaft vorgestellt hatte. „Das ist mit Abstand die größte Enttäuschung meiner Amtszeit“, sagte Sigurdsson, der sich noch am Abend von seinem Team verabschiedete, das sich am Montag wieder in alle Winde verstreute. Auch gab Sigurdsson zu, der es wie kaum ein anderer beherrscht, sich auf den entscheidenden Moment zu konzentrieren, dass man im Kopf schon ein bisschen beim möglichen Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich gewesen war.

Niederlage schwer vorstellbar

Das ging aber nicht nur ihm so. Deutsche Fans versuchten schon vor der Partie, Tickets für das Viertelfinale zu kaufen, auch der Großteil der Journalisten hatte Unterkünfte bis zum 30. Januar gebucht. Der Gedanke, dass Deutschland ja schon im Achtelfinale ausscheiden könnte, streifte zwar kurz die Gehirnwindungen, wurde aber mit einem herablassenden Lächeln beiseitegeschoben. Es war einfach schwer vorstellbar, dass diese Auswahl an Katar oder Slowenien scheitern könnte.

Dass Deutschland bei dieser WM mindestens der Einzug ins Halbfinale zugetraut wurde, liegt nicht zuletzt an Sigurdsson selbst, der den deutschen Handball vor zweieinhalb Jahren aus der Versenkung geholt und zurück an die Weltspitze geführt hat. „Dagur ist noch immer der Garant für unseren Erfolg“, hatte Bob Hanning vergangene Woche in Rouen gesagt. Seine Zusatzbemerkung wird ihm inzwischen sicher leidtun: „Er wird das hoffentlich noch bis Sonntag bleiben“, hatte der Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB) ergänzt und dann grinsend hinzugefügt: „Natürlich bis zum nächsten Sonntag.“

Gemeint war das Finale in Paris, nun aber ist eine Woche früher Schluss. Mit diversen Biersorten und den Halbfinalspielen der nordamerikanischen National Football League versuchte die Mannschaft in der Nacht zum Montag, die Realität für einige Stunden aus den Köpfen zu verbannen.

DHB-Team scheitert überraschend an Katar

Bitter enttäuscht: Torwart Andreas Wolf
Bitter enttäuscht: Torwart Andreas Wolf © dpa
Trainer Dagur Sigurdsson konnte die Pleite im WM-Achtelfinale nicht verhindern
Trainer Dagur Sigurdsson konnte die Pleite im WM-Achtelfinale nicht verhindern © dpa
Abwehrchef Finn Lemke regt sich auf. Deutschland fliegt aus dem Turnier
Abwehrchef Finn Lemke regt sich auf. Deutschland fliegt aus dem Turnier © imago/Agentur 54 Grad
Rückkehrer Holger Glandorf war mit vier Treffern bester deutscher Werfer
Rückkehrer Holger Glandorf war mit vier Treffern bester deutscher Werfer © imago/Agentur 54 Grad
Gegen Rafael Capote war allerdings kein Kraut gewachsen. Er führte Katar mit neun Toren zum Coup gegen Deutschland
Gegen Rafael Capote war allerdings kein Kraut gewachsen. Er führte Katar mit neun Toren zum Coup gegen Deutschland © imago/Agentur 54 Grad
Patrick Groetzki war mit vier Toren noch einer der besseren im DHB-Team
Patrick Groetzki war mit vier Toren noch einer der besseren im DHB-Team © imago/Agentur 54 Grad
Andreas Wolff macht sich breit und pariert gegen Katars Youssef Benali
Andreas Wolff macht sich breit und pariert gegen Katars Youssef Benali © dpa | Marijan Murat
Das war’s! Dagur Sigurdsson Ära endet mit einem Schock
Das war’s! Dagur Sigurdsson Ära endet mit einem Schock © imago/Agentur 54 Grad
Ein enttäuschter Kapitän Uwe Gensheimer
Ein enttäuschter Kapitän Uwe Gensheimer © dpa | Marijan Murat
Hängende Köpfe bei den „Bad Boys“ nach der Schlusssirene
Hängende Köpfe bei den „Bad Boys“ nach der Schlusssirene © imago/Camera 4
Fäth (v.r.), Häfner und Kühn schleichen sich vom Spielfeld
Fäth (v.r.), Häfner und Kühn schleichen sich vom Spielfeld © imago/Camera 4
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Ende der Euphorie

Die K.-o.-Phase ist normalerweise die Zeit, in der die Zuschauer in Deutschland in Handballeuphorie verfallen. Das war ohnehin dieses Mal schwieriger, da die Spiele nicht im Fernsehen übertragen wurden. Der Live­stream der DKB wies für das Spiel gegen Katar insgesamt knapp drei Millionen Zugriffe aus, für den weiteren Verlauf der WM werden die Quoten nun wohl einbrechen. Handballikone Stefan Kretzschmar befürchtet einen Dämpfer für seinen Sport in Deutschland. „Dieser Boom und diese Euphorie sind erst mal vorbei“, sagte er im NDR.

Hanning hingegen glaubt nicht, dass das enttäuschende Abschneiden allzu große Auswirkungen haben werde, auch nicht auf weitere Verhandlungen mit TV-Anstalten. Er blickt stattdessen nach vorn: Eine Medaille bei der WM 2019, bei der Deutschland zusammen mit Dänemark Gastgeber ist, und Olympiagold in Tokio 2020 sind weiterhin das Ziel. „Davon wird keinen Millimeter abgewichen. Wir müssen jetzt arbeiten, arbeiten, arbeiten, um die Erwartungshaltung, die wir selbst geschürt haben, zu bestätigen.“

Den nächsten Schritt muss die DHB-Auswahl ohne Sigurdsson gehen. Der 43-Jährige, der zukünftig die japanischen Handballer instruiert, soll am Rande des All-Star-Games in Leipzig am 3. Februar offiziell verabschiedet werden. „Dagur hat uns ein neues Selbstwertgefühl gegeben. Dafür können wir ihm unfassbar dankbar sein“, sagt Hanning.

Stimme für Markus Baur

Ein anderer soll sein Werk nun weiterführen, und das wird aller Vor­aussicht nach Christian Prokop (37) sein, der Trainer des SC DHfK Leipzig, auch wenn Markus Baur (TBV Stuttgart) nach wie vor ebenfalls als Wunschkandidat gehandelt wird. Torhüterlegende Henning Fritz etwa sprach sich am Montag für Baur aus, mit dem er 2007 gemeinsam Weltmeister geworden war: „Er ist länger im Geschäft, kennt viele Spieler und hat auch die entsprechende Erfahrung.“

Man kann davon ausgehen, dass der DHB die Nachfolge nicht erst im Sommer klärt, sondern in den kommenden Wochen. Der Neue muss sich nun zumindest nicht an einem WM-Titel messen lassen, seine Aufgabe wird aber sein, die Geschehnisse mit der Mannschaft aufzuarbeiten. Vielleicht hilft ihm diese unerwartete Zäsur, so wie sie den zuletzt erfolgsverwöhnten jungen Handballern helfen kann, eine neue Gier zu entwickeln, die möglicherweise bei dieser WM etwas gefehlt hat.

Lernen aus solchen Spielen

Das ist auch Physiotherapeut Peter Gräschus aufgefallen: „Wir haben viele junge Männer dabei, die in letzter Zeit ziemlich viel gewonnen haben. Das gönne ich ihnen auch, aber wie im ganzen Leben schätzt man Dinge höher, wenn man auch die Tiefs erlebt hat, das hat auch was mit dem Alter zu tun.“

Holger Glandorf (33), der für die WM ein letztes Mal in die Nationalmannschaft zurückkehrte, hat diese Erfahrungen schon hinter sich: „Ich hoffe, die Jungs lernen aus solchen Spielen und kommen dann gestärkt wieder.“