Sotogrande. Der Kapitän des FC St. Pauli erwartet trotz allen Willens und guten Teamgeists eine schwierige Rückrunde

Sören Gonther wirkte sichtlich erleichtert, als auch er den dritten Teil der internen Team-Challenge unbeschadet überstanden hatte. Bei dem Wettbewerb, zu dem sich die Profis des FC St. Pauli zu Beginn des Trainingslagers in Sotogrande in vier Gruppen von je acht Spielern aufgeteilt hatten, ging es darum, verschiedene, unter jeweils einem Motto stehende Aufgaben zu erfüllen. Am Freitag stand nach der Vormittagseinheit das Stichwort „Mut“ über dem Ganzen. Dabei musste sich jeweils ein Spieler rücklings von einem rund 2,30 Meter hohen Gerüst fallen lassen und darauf vertrauen, dass ihn seine sieben Kollegen der Gruppe auffangen.

„Ich habe Höhenangst. Mir war schon mulmig, als ich am Anfang nur auf dem Gerüst gestanden habe“, gab Gonther später offen zu. Die Blöße, auf die Aktion zu verzichten und damit seiner Gruppe einen womöglich entscheidenden Nachteil zu bescheren, wollte sich der Kapitän des FC St. Pauli dann aber doch nicht geben. Nachdem er selbst einige Kollegen aufgefangen und gesehen hatte, dass man es unverletzt überstehen kann, fasste er den Mut, noch einmal hochzuklettern und sich auf den Fall nach hinten einzulassen. Der Jubel seiner Mitspieler war groß, wussten sie doch um die spezielle Befindlichkeit ihres Anführers.

Für Sören Gonther also hatte diese dritte Team-Challenge-Etappe nicht nur etwas mit Mut, sondern vor allem auch mit Überwindung zu tun. Auch das ist für ihn und sein Team ein gutes Stichwort im Hinblick auf die in einer Woche mit dem Heimspiel gegen den VfB Stuttgart startende Rückrunde der Zweiten Liga, geht es hier doch darum, die Tristesse der Tabellensituation als Schlusslicht und die damit verbundene akute Abstiegsgefahr zu überwinden.

Die Motivation dafür ist offenbar vorhanden. „Von mir aus könnte das Spiel gegen Stuttgart auch schon morgen sein. Wir freuen uns jetzt schon alle darauf. Aber nun wollen wir morgen erst einmal eine gute Generalprobe abliefern“, sagte Gonther am Freitag. An diesem Sonnabend spielt sein Team in unterschiedlichen Besetzungen zunächst um 13.30 Uhr gegen den Schweizer Zweitliga-Tabellenführer und amtierenden Pokalsieger FC Zürich und um 18 Uhr gegen den ukrainischen Meister und aktuellen Tabellenzweiten Dynamo Kiew. In welcher dieser Partien Gonther sowie die anderen potenziellen Stammspieler zum Einsatz kommen, war am Freitag auch ihm selbst noch nicht bekannt.

In jedem Fall aber ist die Entschlossenheit vorhanden, an die Leistung der beiden Testspiele am vergangenen Sonnabend anzuknüpfen, als die vorwiegend jüngeren St.-Pauli-Akteure 6:2 gegen Tianjin Teda (6:2) und die nominell erste Garde 2:1 gegen den FC Basel gewonnen hatten. Gonther hatte gegen Basel überzeugend mitgewirkt und per Kopf den späten Siegtreffer erzielt. „Es macht uns Mut, dass wir den Test gegen den FC Basel nicht nur gewonnen, sondern dabei das Spiel auch gedreht haben“, sagt Gonther und spricht damit eine Schwäche seiner Mannschaft in der bisherigen Saison an. War das Team in Rückstand geraten, so verlor es das Spiel auch. Einzige kleine Ausnahme war jüngst das 1:1 gegen den VfL Bochum. Doch drei Punkte nach einem Rückstand gab es zuletzt im Mai 2016 beim 5:2 gegen den 1. FC Kaiserslautern zum Abschluss der vergangenen Saison.

Wie zuvor Mittelfeld- und Mannschaftsratskollege Bernd Nehrig hält auch Gonther die These, „der Klassenerhalt wird nur über die Kabine gelingen“ für absolut zutreffend. St. Paulis Geschäftsführer und Interims-Sportchef Andreas Rettig hatte dies so formuliert. „Wir älteren und erfahrenen Spieler haben die Verantwortung, dass in der Mannschaft ein guter Geist und eine gute Stimmung herrscht – trotz mancher Negativerlebnisse“, sagt der Kapitän dazu. „Wir müssen damit rechnen, dass diese Rückschläge wahrscheinlich auch in der Rückrunde noch einmal kommen werden, durch Schiedsrichterentscheidungen oder auch schwächere Leistungen von uns. Das Wichtigste ist, dass wir stabil bleiben. Niemand von uns glaubt, dass wir einfach so durch die Rückrunde spazieren werden.“

Vielmehr dürfte es ein ähnlicher Kampf wie vor zwei Jahren werden, als der Klassenerhalt erst nach dem Abpfiff des letzten Saisonspiels feststand. „Manchmal denkt man daran, wie uns damals die Erfolgserlebnisse beflügelt haben. Jedem ist aber bewusst, dass das nicht per Knopfdruck zu wiederholen ist. Diese Geschichte muss jetzt neu geschrieben werden“, sagt Sören Gonther.

Mut und Entschlossenheit dazu hat er am Freitag mit seinem freien Fall nach hinten schon bewiesen.