Kitzbühel. Der Schweizer Skirennfahrer Didier Cuche erinnert sich an sein erstes Rennen auf der berüchtigten Hochgeschwindigkeitspiste in Kitzbühel

Ist das noch Sport oder schon Wahnsinn? Bis zu 85 Prozent Gefälle an der berüchtigten Mausefalle, dazu Sprünge von 80 Metern – und mittendrin der Mensch, der sich mit mehr als 140 Kilometern pro Stunde den vereisten Hang hinunterstürzt. Die Streif gilt als gefährlichste Weltcupabfahrt der Welt.

Wenn Didier Cuche von seiner ersten Erfahrung im Starthäuschen erzählt, als der Countdown nur für ihn lief und vor ihm diese weiße, steile Hölle lag, bebt auch heute noch seine Stimme. Dabei ist das 20 Jahre her: „Die vier Fahrer vor mir sind alle gestürzt. Drei mussten mit dem Helikopter abtransportiert werden. Ich war kurz davor aufzugeben. Aber dann wollte ich mir diese Blöße doch nicht geben. Ich hab’s irgendwie runtergebracht.“ Er hat den Hang besiegt. Zuerst nur im Training, später dann im Weltcuprennen. Fünfmal hat der Schweizer zwischen 1998 und 2012 die berühmte Abfahrt gewonnen, so oft wie kein anderer.

Am Sonnabend (11.30 Uhr/ZDF) versuchen die besten Skifahrer der Welt wieder, das gut 3300 Meter lange Stück Berg zu überstehen. Didier Cuche hat seine Karriere vor fünf Jahren beendet. Aber der Mythos Streif lässt den 42-Jährigen nicht los. Auch in diesem Jahr wird er an der Strecke warten und mitfühlen, wenn die Starter mit einer Mischung aus Respekt und Herzklopfen oben stehen, und er wird froh sein, wenn sie stolz und erleichtert sind, weil sie mit brennenden Beinen, aber heilen Knochen, nach dem finalen Sprung im Ziel angekommen sind. Getragen nur von zwei Brettern unter ihren Füßen und einer XXL-Portion Adrenalin, irgendwo verborgen unter ihren dünnen Rennanzügen.

Warum bloß tun die sich das an? „Da ist dieser Kick. Es ist das schönste Glücksgefühl, durchs Ziel zu fahren und eine so schwierige Aufgabe gemeistert zu haben. Diesen Mut haben nur wenige“, sagt Cuche. Er spricht von einer Gratwanderung, von Grenzerfahrungen, man kann fast sagen: von einem Ritt durch das Inferno. Der amerikanische Skirennfahrer Bode Miller hat es einmal so formuliert: „Es fühlt sich an wie in einem Starfighter, nur ohne Starfighter.“

Didier Cuche hat die brutale Streif so gründlich seziert, dass er bis heute jeden Zentimeter vor Augen hat. „Direkt nach dem Start geht es 35 Sekunden Schlag auf Schlag. Die erste Kurve, die Mausefalle, der Riesensprung zum Steilhang, die Traverse, am Ende der Hausberg, das ist die nächste Hölle.“ Er redet so, als wolle er am Sonnabend wieder dabei sein. Will er das? Nein! „Nur noch in Gedanken. Ich könnte es zwar irgendwie noch meistern. Aber ich bräuchte viel Glück, um heil unten anzukommen.“

Hotels vervierfachen am Streif-Wochenende ihre Preise

Bis heute werden in nahezu jedem Rennen Fahrer abgeworfen. Schlimme Stürze, Verletzte, Hubschraubereinsätze. Banges Warten. Im vergangenen Jahr erwischte es die Topleute Aksel Lund Svindal aus Norwegen und Hannes Reichelt aus Österreich, am Donnerstag riss sich der Deutsche Klaus Brandner im Abschlusstraining die Patellasehne im linken Knie. Auch von solchen tragischen Geschichten lebt der Mythos.

Am Streif-Rennwochenende, das mit dem Super-G am Freitag begann – der österreichische Olympiasieger Matthias Mayer siegte in 1:11,25 Minuten vor Christof Innerhofer (Italien/+0,09) und Beat Feuz (Schweiz/+0,44), Josef Ferstl (Hammer/+0,90) war als Achter bester Deutscher – und mit dem Slalom am Sonntag (10.30 und 13.30 Uhr/ZDF) endet, fallen rund 100.000 Zuschauer in das sonst so beschauliche Kitzbühel ein. Hotels vervierfachen ihre Zimmerpreise, in der Region werden 40 Millionen Euro umgesetzt. Ein unerreichtes Skispektakel und ein Geldsegen für den Großraum Kitzbühel.

Wer wird an diesem Sonnabend der siegreiche Abfahrer sein, wenn die Streif wieder ihre scharfen Krallen ausfährt? Didier Cuche sagt: „Es ist recht offen. Kjetil Jansrud vielleicht“. Vor zwei Jahren hat der Norweger es schon einmal geschafft, damals allerdings auf einer wegen Nebels verkürzten Strecke. Fünf deutsche Rennfahrer riskieren es auch, darunter Andreas Sander aus Ennepetal und Ferstl. Dessen Vater Sepp war 1979 der bislang letzte deutsche Abfahrer, der den Höllenritt gewinnen konnte.