Elmshorn. Finanzchef Frank Wettstein nimmt im Club eine immer wichtigere Rolle ein. Zusammen mit Bruchhagen soll er das größte Problem lösen

Frank Wettstein hatte einiges zu erzählen. 45 Minuten wollte der Finanzvorstand des HSV an der Nordakademie Elmshorn am Mittwochabend berichten. Am Ende dauerte es 90 Minuten, ehe Wettstein auch die letzte Nachfrage beantwortet hatte. Rund 140 Studenten der Hochschule für Wirtschaft waren gekommen, um den Vortrag über den „HSV als modernes Fußballunternehmen“ zu hören.

Wettstein gab dabei einen Einblick in die wirtschaftlichen Herausforderungen der HSV Fußball AG. Dass der Club weiter mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, ist auch den Studenten der Nordakademie nicht verborgen geblieben. „Müssen wir uns beim nächsten Lizenzierungsverfahren Sorgen machen?“, wollte ein Zuhörer wissen. Wettsteins Kernbotschaft: Nur durch sportlichen Erfolg kommt der HSV aus der wirtschaftlichen Krise. „Solange wir nur 16. sind, werden wir immer der Krisenclub sein“, sagte Wettstein.

Für den Finanzchef war es bereits der zweite öffentliche Auftritt innerhalb kurzer Zeit. Elf Tage ist es her, dass sich Wettstein auf der Mitgliederversammlung des HSV e. V. erstmals einem größeren Publikum präsentierte. Der 43-Jährige gab ausführlich Auskunft über die Finanzlage der Fußball AG. Dabei erläuterte er bewusst Details aus dem Abkommen mit Geldgeber Klaus-Michael Kühne. Bei den meisten Anhängern kam der offene Auftritt gut an. Und es verfestigte sich der Eindruck: Wettsteins Rolle beim HSV wird immer wichtiger.

Der Rheinländer ist der einzige Verbliebene des Vorstands, der nach der Ausgliederung im Sommer 2014 das operative Geschäft der HSV Fußball AG führte. Marketingchef Joachim Hilke war der Erste, der Ende November von sich aus aufhörte. Vier Wochen später wurde der Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer des Amtes enthoben.

Finanzvorstand Wettstein zieht nun an der Seite des neuen Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen die Fäden beim HSV. Und der Clubboss macht klar, welche Stellung der Finanzchef einnimmt. „Frank Wettstein entscheidet, was machbar ist und was nicht. Ein Finanzvorstand hat die wichtigste Aufgabe in einem Club“, sagte Bruchhagen im Gespräch mit dem Abendblatt.

Zwei Jahre lang arbeitete Wettstein beim HSV fast ausschließlich im Hintergrund. Doch spätestens bei der Mitgliederversammlung wurde deutlich, wie groß der Verantwortungsbereich des Wirtschaftsexperten mittlerweile ist. Neben seinem Finanzressort hat Wettstein nun auch zusammen mit Bruchhagen die Aufgaben aus Hilkes Verantwortungsbereich Marketing übernommen. So trafen sich die beiden Vorstände im Trainingslager in Dubai zu Gesprächen mit Hauptsponsor Emirates. Ob der Posten des Marketingvorstands in Zukunft wieder besetzt werden soll, lässt der HSV offen. „Unser Club ist jetzt so aufgestellt, dass er funktioniert“, sagt Bruchhagen.

Derzeit berichtet Oliver Poppelbaum, Bereichsleiter Digital und Sales, kommissarisch an den Vorstand. Um die Kooperation mit dem chinesischen Club Shanghai SIPG FC, die Hilke eingefädelt hatte, kümmert sich Florian Riepe, der Bereichsleiter Marketing des HSV. Wettstein selbst hat mit Eric Duwer seit April 2016 einen Direktor Finanzen als verlängerten Arm. Gerade erst hat er beim HSV eine eigene Steuerabteilung festgesetzt.

Trotz der zunehmenden Verantwortung im HSV bleibt Wettsteins wichtigste Aufgabe, die angespannte Finanzsituation des Clubs in den Griff zu kriegen. Der Finanzchef betont immer wieder, dass nicht die Höhe der Verbindlichkeiten von mittlerweile wieder mehr als 100 Millionen Euro die große Herausforderung des HSV sei, sondern die Fälligkeit. Die nächste große Zahlung wartet auf den HSV 2019, wenn die Fan-Anleihe in Höhe von 17,5 Millionen Euro getilgt werden muss. Auf den Fall eines Abstiegs ist Wettstein insofern vorbereitet, dass sich die Gehälter bei fast allen Profis automatisch um 30 Prozent reduzieren würden. In seinem Vortrag an der Nordakademie machte Wettstein deutlich, dass ein Abstieg den Club wirtschaftlich dennoch hart träfe. „Natürlich müssen wir uns auf diesen Fall vorbereiten“, sagte Wettstein zu den Studenten.

Hoffnung setzt der Finanzchef vor allem in die Erlöse des neuen TV-Vertrags, der den Clubs Mehreinnahmen von zehn Millionen Euro garantiert. Schaffe der HSV den sportlichen Aufschwung, werde sich die Finanzsituation auch entspannen. „Wir durchlaufen einen Restrukturierungsprozess“, sagt Wettstein. Ein Prozess, den er vor zehn Jahren mit Borussia Dortmund schon einmal durchgemacht habe, als er den BVB mit einem Team aus Wirtschaftsprüfern vor der Insolvenz rettete.

So dramatisch wie in Dortmund sei die Lage in Hamburg nicht. Und doch sagt Wettstein: „Die Situation des HSV ist ein Spiegelbild. Der Unterschied ist nur, dass Dortmund uns jetzt zehn Jahre voraus ist. Die werden wir nicht mehr einholen.“

Wettstein wählt an der Nordakademie ähnlich klare Worte wie zuletzt bei der Mitgliederversammlung. Zusammen mit Bruchhagen will er nicht nur die wirtschaftliche Lage in den Griff kriegen, sondern auch die Rolle des HSV e. V. wieder stärken. Wettstein selbst war vor seiner HSV-Zeit neben seiner Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer ehrenamtlicher Präsident seines Heimatvereins Viktoria Schlich im rheinischen Langerwehe. Das Amt bei dem Kreisligisten musste er mittlerweile aufgrund der räumlichen Distanz ruhen lassen.

Als Beisitzer des Vorstands ist er aber immer noch nebenbei für Schlich tätig. Für den kleinen Amateursportverein gelte dasselbe Motto wie für den HSV. „Wir müssen den Laden zusammenhalten“, sagt Wettstein. Für das moderne Fußballunternehmen sei das in Zukunft die größte Herausforderung.