Kamen. Bundestrainer Dagur Sigurdsson will sich mit einer WM-Medaille von Deutschlands Handballern verabschieden

Wenn Dagur Sigurdsson auf seinen letzten großen Wettbewerb mit den deutschen Handballern angesprochen wird, tut er gern so, als würde ihn das überhaupt nicht tangieren. Am Montag hat der Bundestrainer beim Test gegen Österreich (33:16) sein letztes Spiel auf deutschem Boden geleitet. Am Freitag startet er mit seinem Team in Rouen gegen Ungarn in die Weltmeisterschaft (17.45 Uhr/Livestream auf handball.dkb.de), die am 29. Januar in Paris ihren Sieger kürt. Danach schlägt Sigurdsson als Nationaltrainer in Japan ein neues Kapitel auf.

Wehmütige Worte oder Parolen auf einen letzten großen Erfolg mit dem deutschen Team kommen ihm nicht über die Lippen, das heißt aber nicht, dass sie nicht doch in seinem Kopf umherschwirren. Wer den Welthandballtrainer des Jahres 2016 ein bisschen kennt, weiß, dass ihm vieles gar nicht so egal ist, wie er nach außen vorgibt. Es gehört vielmehr zu den größten Stärken des ehemaligen isländischen Nationalspielers, sich von seinen Gedanken nicht davontragen zu lassen. Diese Fähigkeit, den Fokus im Moment zu behalten, hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass der 43-Jährige den deutschen Handball zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt wieder ganz oben platziert hat.

Nicht alle waren zunächst angetan von dem jungen Isländer, den Bob Hanning 2014 als neuen Bundestrainer vorschlug, nachdem er ihn bereits 2009 zu seinem Clubtrainer bei den Füchsen Berlin gemacht hatte. Lieber hätte man einen deutschen Trainer gehabt oder zumindest einen, der nicht in Doppelfunktion noch einen Bundesligaklub leitete. Doch Hanning setzte sich durch. „Ich war von Anfang an überzeugt, dass Dagur der richtige Mann ist“, sagt er.

Durch Feinfühligkeit oder Diplomatie hat Sigurdsson in seiner Amtszeit nicht bestochen, Gleiches gilt für Hanning, der aufgrund seiner stringenten Marschroute einige Kritik einstecken musste, seit er 2013 das Amt des Vizepräsidenten Leistungssport beim Deutschen Handball-Bund übernahm. Mit genau dieser Arbeitsweise haben die beiden Männer dem deutschen Handball allerdings einen großen Dienst erweisen: Deutschland, das sich sportlich weder für Olympia 2012 noch die EM 2014 noch die WM 2015 qualifizierte, gehört nun als Europameister und Olympiadritter in Frankreich wieder zu den Favoriten auf einen Titel.

„Ich wusste, dass wir diese schwierige Umstrukturierung nur hinbekommen, wenn man fernab von Freundschaft Entscheidungen treffen kann“, sagt Hanning. Mit unpopulären Entscheidungen hat Sigurdsson kein Pro­blem. Das bewies er bereits als Nationaltrainer in Österreich zwischen 2008 und 2010. Da setzte er David Szlezak als Kapitän der Mannschaft ab – und hatte Erfolg. Bei der EM 2016 ließ er Deutschlands bis dahin schillerndsten Handballer Silvio Heinevetter zu Hause – Deutschland holte den Titel.

Auch bei dieser WM geht Sigurdsson wieder einen ungewöhnlichen Weg: Statt 16 nominiert er nur 15 Spieler, um im rechten Rückraum Platz für Holger Glandorf zu lassen. Der Weltmeister von 2007 hat beim Testspiel gegen Österreich eindrucksvoll bewiesen, dass er der richtige Joker sein kann. Eine komplette WM würde er mit seinen 33 Jahren aber nicht durchhalten, weiß Sigurdsson.

Was ihm bei seiner Mission außerdem hilft, ist eine Eigenschaft, die andere vielleicht nicht so offen kommunizieren würden: Sigurdsson kann einfach nicht verlieren. Selbst als Profispieler kullerten ihm nach Niederlagen noch heiße Tränen über die Wangen. Als Trainer gelingt es ihm inzwischen besser, seine Enttäuschung zu verbergen, seine eingefrorenen Mundwinkel und die zuckende Augenbraue verraten aber stets, dass da etwas in seinem Inneren schlummert.

Seine Trophäen trägt Sigurdsson stets bei sich

Dieses Gefühl will der Isländer unbedingt vermeiden, also entwickelt er am laufenden Band clevere Ideen, die ihn zu dem begnadeten Taktiker machen, der er ist. Ein bisschen profitierte Sigurdsson auch davon, dass er bislang keine großen Erwartungen zu erfüllen brauchte. Bei der WM 2015 in Katar war allein die Teilnahme dank der ominösen Wildcard mehr, als Deutschland sich erhoffen konnte, der siebte Platz dann respektabel. Vor der EM war das von Verletzungen gebeutelte Team ebenfalls kein Favorit. Und auch jetzt sind alle Seiten bemüht, keine zu hohen Erwartungen an die Mannschaft zu stellen, die ihre letzte WM-Medaille 2007 im eigenen Land holte.

Sigurdsson betont, eine Platzierung unter den ersten sechs würde ihn zufriedenstellen. Die Gedanken von dem Mann, der selbst ein virtuelles Pokalregal für das Smartphone entworfen hat, damit er seine Trophäen stets bei sich tragen kann, gehen aber sicher in eine andere Richtung. „Ich hoffe, dass wir ihm mit dem Weltmeistertitel den Weg gen Osten bereiten können“, sagt Torhüter Andreas Wolff.