Hamburg. Bei der norddeutschen Meisterschaft in Hamburg jagen Vereins- wie Freizeitspieler ihren TV-Idolen nach

Im Landhaus Jägerhof in Hamburg-Hausbruch herrscht zur Mittagszeit dichtes Gedränge. Geschlossene Gesellschaft. Alle Tische und Stühle sind besetzt. Fast kein Vorbeikommen. Es riecht nach Schnitzel und Pommes, nach Kaffee, Bier und Rum. Die Luft ist stickig. Die Menschen wuseln umeinander herum, jeder kennt jeden. Es ist ein großes familiäres Hallo am zweiten Wochenende des neuen Jahres. Die Gäste sind jedoch nicht zum Essen und Feiern in den großen Saal gekommen – sondern zum sportlichen Wettkampf. Der Landesdartverband Hamburg (LDVH) hat zur norddeutschen Meisterschaft im Steeldarts geladen.

Vor der Bühne der Turnierleitung um LDVH-Präsident Francois Huguenin (51) bildet sich eine lange Schlange. Die letzten Anmeldungen für die in wenigen Minuten beginnenden Herren- und Dameneinzel gehen ein. Die Darter sind trotz der spiegelglatten Straßen aus Sylt, Rostock, Bremen oder der Nordheide angereist. Den Großteil der Teilnehmer stellen die Hamburger Lokalmatadoren. Die sich bereits einwerfenden 160 Männer, die an den Start gehenden 24 Frauen und die gemeldeten 28 Mixed-Doppel findet Organisator Huguenin, der im Einzel selbst zu den Pfeilen greift, „für unsere Randsportart sehr erfreulich.“

Und so tummelt sich für ein Startgeld von zehn Euro pro Person vor den Dartboards das breite Spektrum aus Nationalspielern, Vereinsdartern und Freizeitwerfern, aus sehr vielen Herren mittleren Alters, wenigen Frauen und ein paar jungen Talenten. Die Spitzenspieler sind dabei an ihren bunten Vereinsshirts leicht zu erkennen. Sie tragen darauf auch ihre Kampfnamen zur Schau. Sie nennen sich „The Flame“, „Teufelchen“ oder „The Fynnisher“.

Bei den Besten prangen zusätzlich noch Sponsorennamen auf der linken Brust. So wie bei Mike Holz vom Bundesligateam des HSV, der für einen Staubsaugerservice aus Neumünster wirbt. Für den gelernten Bademeister ist sein Hobby längst zu einem Nebenjob geworden. „Ich spiele aber nicht mehr jedes Turnier, sondern konzen­triere mich auf höher dotierte Einladungsevents und die PDC-Tour“, erzählt der 41-Jährige und nimmt noch einen Schluck aus der Bierflasche. Zum Lockerwerden, wie er sagt.

Die Professional Darts Corporation, kurz PDC, ist seit den TV-Übertragungen bei Sport1 nicht nur in der (männlichen) Dartsszene das Ziel aller Träume. Die vom Weltverband organisierten, mehrere Hunderttausend Euro schweren Turniere sind dank der Fernsehpräsenz mittlerweile auch in deutschen Wohnzimmern bekannt. Im Schnitt 1,48 Millionen Zuschauer hatten das WM-Finale vor einer Woche aus dem Londoner Alexandra Palace verfolgt. Vom 9. bis 11. Juni gastiert die Serie erneut in der Inselparkhalle in Hamburg-Wilhelmsburg.

England und die gelobte PDC sind auch das Ziel von Nico Ziemann. Der 18-Jährige aus Winterhude gilt als eines der größten Talente im LDVH. Noch geht Ziemann für den SC Eilbek in der Hamburger Verbandsliga auf Punktejagd, „sein Weg führt jedoch in die Bundesliga“, lobt Mike Holz den Konkurrenten. Ziemann, der nach dem Abitur erst einmal noch bei Autovermieter Sixt jobbt, will sich in diesem Jahr auf der PDC-Youth-Tour beweisen. Reisekosten, Unterkunft und Startgeld muss er selbst aufbringen. „Ich werde versuchen, mich für fünf Turniere in England zu qualifizieren“, sagt Ziemann, der sich im Jägerhof als einer der wenigen Spieler an Wasser und Cola hält. „Ich trinke keinen Alkohol“, will der norddeutsche Juniorenmeister von 2015 so gar nicht dem Klischee des Kneipensportlers entsprechen. Nur die Zigarette danach, nach jedem gewonnenen K.-o.-Duell, gönnt er sich.

Noch höher als Ziemann sind aktuell aus Hamburg die Nationalspieler Robert Allenstein und Daniel Zygla (beide 26) einzustufen. In der nationalen Rangliste des Deutschen Dartvereins (DDV) belegen sie die Plätze eins und zwei. „Es ist schon cool, die hier live spielen zu sehen“, sagt Hobbyspieler Sebastian Koeck (22): „Robert Allenstein sehe ich ja sonst nur im Fernsehen.“ Die Zuschauer im großen Saal sind dabei an einer Hand abzuzählen. Wer da ist, spielt auch. Sebastian Koeck scheidet sang- und klanglos aus, als er für die Trostrunde aufgerufen wird, ist er schon nicht mehr da. Vor der Finalrunde am Abend verabschiedet sich auch André Graudenz (57). Der Lkw-Fahrer aus dem schleswig-holsteinischen Siebenbäumen ist mit seinem Chef gekommen. Gemeinsam spielen die beiden sonst im heimischen Partykeller. „Wir wollten mal testen, wie turnierfest wir sind“, sagt Graudenz. So gut wie zu Hause funktioniert ihr Spiel allerdings nicht. Die ungewohnte Geräuschkulisse, die starken Gegner, der lange Nachmittag, da leidet die Konzentration, sagt Graudenz.

„Zu 90 Prozent entscheidet beim Darts der Kopf, die Technik sitzt irgendwann“, erklärt Ziemann, der sich vor Turnieren mit einem Chill-out-Hörspiel mental stärkt. Seine größte Sorge wäre, wenn er an „Dartitis“ erkranke. Bei der psychischen Blockade kann der Dartspieler den Pfeil einfach nicht mehr loslassen. Als das Talent Ziemann schließlich kurz nach 22 Uhr die Favoriten Holz, Allenstein und Zygla hinter sich gelassen und sich überraschend zum norddeutschen Meister gekrönt hat, konnte er sich über eine Siegprämie von 400 Euro freuen. So viel wie noch nie.