Hamburg. Es begab sich ... Die Sportstadt Hamburg hat nach dem Olympia-Aus harte Monate hinter sich. Aber langsam kommt sie wieder in Bewegung

Vor einem Jahr war unser Job noch einfach. Wir hätten an dieser Stelle zum Beispiel einen Artikel über die Hamburg Freezers geschrieben. Oder über die HSV-Handballer. Oder über das Volleyball-Team Aurubis. Weihnachten, das war immer die Zeit, in der sich der professionelle Erstligasport in der Stadt für ein paar Tage aus dem großen Schatten des Fußballs befreien konnte. Die Hallen füllten sich wie von selbst, die Zeitungsspalten auch. Und alle waren zufrieden.

2016 wird ein ruhiges Weihnachten für den Hamburger Sport. Der Handball-Sport-Verein kehrt für ein einmaliges Drittliga-Gastspiel noch einmal in die Arena zurück, in der vor einem Jahr seine Erfolgsgeschichte mit der Insolvenz jäh endete (s. Seite 43). Ansonsten ist nicht viel los. Die Freezers wurden von Eigner Anschutz Entertainment Group im Frühjahr abgewickelt, auch sie nach 14 Jahren. Ein Pflichtteil ihres sportlichen Erbes fiel auf die Crocodiles in der drittklassigen Oberliga ab. Und die Volleyballerinnen haben sich nach dem Verlust ihres Namenssponsors freiwillig in die Zweite Bundesliga zurückgezogen.

Wenn jetzt noch der HSV und der FC St. Pauli die Saison so zu Ende bringen, wie sie sie angefangen haben, dann spielt der hiesige Profisport endgültig im Souterrain. Armes Hamburg! Und so etwas nennt sich Sportstadt?

Andererseits: warum auch nicht? Sportstadt ist kein geschütztes Siegel, man kann es sich einfach selbst anheften. Wer bei Google nach Sportstädten sucht, wird feststellen, dass Deutschland geradezu übersät ist davon, von Coburg bis Hennef, von Meiningen bis Buchholz, von Lörrach bis Lübeck. Es braucht keine Spitzenvereine, um Sportstadt zu sein. Schon gar keine Olympiabewerbung.

Man muss der Politik zugutehalten, dass sie an dem Absturz der Clubs keine Schuld trifft. Jeder von ihnen hat auf seine Art den Kredit verspielt. Die HSV-Handballer haben sich ihre Erfolge mit dem Geld eines am Ende unberechenbaren Mäzens viel zu teuer erkauft. Eis­hockey und Volleyball haben die Investitionen, die Konzerne in sie getätigt haben, sportlich nie zurückgezahlt. Die Rettungsaktion der Freezers-Anhänger, die in kürzester Zeit mehr als eine Million Euro Spenden einsammelten, machte landesweit Eindruck, nur nicht bei denen, die die Entscheidung hätten rückgängig machen können.

Eine Frage aber drängt sich in diesen Tagen auf: Hätte eine Stadt, die sich gerade für knapp 800 Millionen Euro ein Konzerthaus hingestellt hat, auch tatenlos dem Sterben zugesehen, wenn es sich um, sagen wir, ein Museum oder ein Theater und nicht um Sportmannschaften gehandelt hätte? Oder, naheliegender noch: wenn das Olympiareferendum im November 2015 positiv ausgefallen wäre?

Jenes Nein war ja kein Votum gegen den Sport, als das es anfangs missverstanden wurde. Aber natürlich war der Sport der große Verlierer. Das betrifft die zwölf Schwimmhallen, 37 Sporthallen und 62 Sportplätze, die nun nicht mithilfe von Bundesmitteln instandgesetzt oder ausgebaut werden. Mehr aber noch betrifft es den Stellenwert des Sports, die Lobby, die ihm im Widerstreit der Interessen in der Stadt Gehör verschaffen könnte. Investitionen für den Sport werden künftig nicht mehr so leicht durchzusetzen sein wie zu Zeiten des Werbens um Olympia, das fürchtet nicht nur der nach dem Olympia-Aus zurückgetretene Sportsenator Michael Neumann.

Es finden sich allerdings auch genügend Beispiele, in denen der Sport in diesem Jahr erfolgreich gekämpft hat. Die Cyclassics – gerettet dank eines neuen Titelsponsors. Das neue Beachvolleyball-Majorturnier am Rothenbaum – wegen des großen Publikumserfolgs auch für 2017 fest im Wettkampfkalender verankert. Weitere Topveranstaltungen kommen hinzu: Im kommenden Jahr wird Hamburg erstmals Schauplatz eines Ironman-Triathlons, die Golfelite der European Tour gibt nach zehn Jahren wieder ein Gastspiel. Im Boxen und im Frauenhandball werden hier sogar Weltmeisterschaftsmedaillen vergeben – in einer Stadt, die zwischen 1978 und 2007 keine einzige WM-Entscheidung erlebt hat.

Hamburg braucht diese Veranstaltungen nicht, um Spitzensportler in der Stadt zu haben. Bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio glänzten die Athletinnen und Athleten wie lange nicht mehr. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst rissen auf ihrem – mittlerweile auch filmisch dokumentierten – Weg zu Gold die Menschen derart mit, dass sie gerade zu Deutschlands Sportlerinnen des Jahres gewählt wurden. Ihr Olympiasieg war auch die Grundlage für die Entscheidung, dass Hamburg 2017 zum Leitstützpunkt des Beachvolleyballs aufsteigt und damit unter anderem Berlin ausgestochen hat.

Der Sport hat aber auch Stärke bewiesen, wenn keine Film- oder Fernsehkamera zugegen war. Viele Vereine etwa haben sich vorbildlich den Herausforderungen gestellt, die die Flüchtlingsströme unserer Gesellschaft stellen, und leisten tagtäglich wertvolle Integrationsarbeit. Oder ermöglichen es Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt Sport zu treiben.

Eine Sportstadt darf und muss sich nicht nur daran messen lassen, ob sie Schauplatz großer Meisterschaften ist und Heimat von Spitzenathleten. Sie braucht gesellschaftliche Vorbilder, ja, aber sie braucht auch Nachahmer. Konkret: Sie muss versuchen, möglichst viele Menschen in Bewegung zu bringen, ungeachtet ihrer körperlichen und finanziellen Möglichkeiten, ob nun auf Sportanlagen oder auf dem Fahrrad im Straßenverkehr. Es darf kein Gegensatz sein, dass sich Hamburg beispielsweise um eine Schwimmweltmeisterschaft bewirbt und gleichzeitig alle Anstrengungen unternimmt, dass jedes Kind schwimmen lernt. Dass die Stadt das Rothenbaum-Tennisstadion zur Multifunktionsarena umbaut und gleichzeitig Bolzplätze in Wohngebieten schafft.

Denn auch das gehört zur Wahrheit der Sportstadt: In vielen Stadtteilen wird das Angebot an Plätzen und Hallen der Nachfrage nicht gerecht. Selbst ein Erstligateam wie die Footballer der Hamburg Huskies hat Schwierigkeiten, adäquate Spiel- und Trainingsstätten zu finden. In großen Quartiersprojekten wie der HafenCity oder der Neuen Mitte Altona ist der Sport unter- oder gar nicht repräsentiert. Und von den vorhandenen Anlagen befinden sich manche in einem beklagenswerten Zustand.

Hier soll der neue Masterplan Ac­tive City der Stadt ansetzen: ein 178 Seiten starker Maßnahmenkatalog von 26 Einzelprojekten und sechs Empfehlungen, die in den kommenden sieben Jahren umgesetzt werden sollen. Er setzt auf Konzepten auf, die im Zuge der Olympiabewerbung erarbeitet wurden. So sollen Barrieren in Sporthallen abgebaut, Bewegungsflächen in Neubaugebieten und öffentlichen Grünanlagen geschaffen, Sportstätten so modernisiert werden, dass sie neuesten Wettkampfanforderungen genügen.

Dieser Masterplan ist auch der Versuch, Leistungs- und Breitensport zu vereinen – ebendas ist ja eigentlich immer eine Hamburger Spezialität gewesen, man denke nur an die Massen, die der Marathon, der Triathlon und die Cyclassics alljährlich bewegen. Und er will dem Sport, der im Abwärtsstrudel der Ereignisse des vergangenen Jahres kurzzeitig seine Orientierung verloren zu haben schien, ein neues Ziel geben.

Die Sportstadt, so scheint es, hat sich einmal kurz geschüttelt, sie löst sich aus der Schockstarre und kommt langsam wieder in Bewegung. In einem Jahr können wir an dieser Stelle statt eines Nachrufs auf ein tränenreiches Sportjahr vielleicht schon wieder über hochklassige Spiele schreiben, die über die Feiertage in Hamburg stattfinden. Man wird sich ja einmal etwas wünschen dürfen zu Weihnachten.