Köln. Deutschlands ranghöchster Olympiamann spricht über den Kampf um Aufklärung, die WM 2018 und die Spitzensportreform.

Olympia in Rio, die Spitzensportreform in Deutschland – und immer wieder russische Dopingenthüllungen. Das Sportjahr 2016: eine große Berg-und-Tal-Fahrt. Für Michael Vesper (64) bedeutete das viel Arbeit. Als Chef des DOSB-Vorstands ist er Deutschlands ranghöchster Olympiamann.

Herr Vesper, stimmen Sie zu, dass der Spitzensport 2016 sehr gelitten hat, vor allem durch die russischen Dopingenthüllungen?

Vesper: Ja, es war ein sehr schwieriges Jahr mit vielen Krisen. Der erste vorläufige McLaren-Report kurz vor den Olympischen Spielen, der zweite, vollständige Bericht dann vor wenigen Wochen – da kommt noch viel Arbeit auf uns zu. Es ist wichtig, alles lückenlos aufzuklären. Der Glaube an sauberen Sport ist erschüttert worden, und wir müssen Vertrauen zurückgewinnen.

Wie geht es jetzt weiter?

Vesper: Bis zu den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang sind es noch 14 Monate – genug Zeit, um allen Vorwürfen sorgfältig und nach rechtsstaatlichen Kriterien nachzugehen.

Welche Konsequenzen muss es geben?

Vesper: Das IOC hat zwei Kommissionen eingesetzt. Die eine wird sich mit jeder einzelnen Urin- und Blutprobe russischer Athleten der Olympischen Spiele in Sotschi und in London befassen, sie mit den Methoden von heute nachtesten und nach möglichen Manipulationsspuren an den Behältnissen suchen. Die andere Kommission untersucht, welche strukturellen Konsequenzen nun zu ziehen sind.

Es gab viel Kritik, weil russische Athleten nicht komplett von den Spielen in Rio ausgeschlossen wurden. Wird im Winter 2018 härter durchgegriffen?

Vesper: Ein Komplettausschluss trifft immer auch Unschuldige. Aber klar ist: Die russische Mannschaft in Rio war definitiv zu groß. Viele Verbände haben nicht die Maßstäbe angelegt, die das IOC vorgegeben hatte, sondern wie die Judoka die russischen Sportler einfach durchgewinkt. Zwischen dem McLaren-Report und dem Beginn der Spiele blieb allerdings auch zu wenig Zeit, nicht einmal drei Wochen. Nun kommt es darauf an, den Russen klarzumachen, dass ihre Doping-Praktiken ein Angriff auf alle Sportler sind, die ihre Wettkämpfe mit fairen Mitteln bestreiten, und dass dies weltweit nicht akzeptiert wird.

Ist es das richtige Zeichen, Sotschi die Austragung der Bob-WM im Februar entzogen zu haben?

Vesper: Ja, das war zwingend notwendig und ein richtiger Schritt, um deutlich zu machen, dass ein Verband sich nicht alles gefallen lässt. Ich bin sicher, dass andere Verbände ähnlich reagieren werden wie die Bobfahrer.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist eine Bob-WM ein vergleichsweise kleines Ereignis. 2018 soll aber auch die Fußball-WM in Russland stattfinden. Müssen hier ebenfalls Konsequenzen aus dem Dopingskandal gezogen werden?

Vesper: Die Bob-WM ist sicherlich kleiner, doch auch diese Absage hat weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt und ein Zeichen gesetzt. Bei der Fußball-WM wäre eine derart kurzfristige Verlegung organisatorisch kaum machbar und vermutlich extrem teuer.

Welche Verhaltensempfehlungen geben Sie den Fußballprofis auf den Weg? Sollten sie zu Doping Stellung beziehen?

Vesper: Fußballspieler sind wie alle Sportler mündige Bürger, die selbstverständlich ihre Meinung kundtun, genauso gut aber auch schweigen dürfen. Das soll jeder so machen, wie er mag.

Kürzlich ist die Spitzensportreform verabschiedet worden, die eine gezieltere Förderung und mehr olympische Medaillen bringen soll. Zufrieden?

Vesper: Es ist so gekommen wie immer, wenn mehrere Partner beteiligt sind: Wir haben uns auf einen Kompromiss geeinigt. Der kann sich durchaus sehen lassen und bietet für den Leistungssport in Deutschland viele Chancen. Noch nie ist in Deutschland so intensiv über den Spitzensport diskutiert worden wie bei dieser Reform.

Kritiker befürchten, dass weniger erfolgreiche Sportarten in der Versenkung verschwinden könnten.

Vesper: Es geht nicht nur um vergangenen Erfolg, sondern vor allem um künftiges Potenzial. Auch Sportarten wie das Beckenschwimmen, die mehrfach nicht überzeugen konnten, sollen und können profitieren, wenn sie vielversprechende Talente und eine vorbildliche Nachwuchsarbeit mit Perspektiven aufweisen.

Es heißt, dass ein Computersystem über die Intensität der Unterstützung entscheiden soll.

Vesper: Nein, keine Sorge. Das PotAS-System (Potenzialanalyse, d. Red.) entscheidet nicht, es schafft lediglich die Grundlage für die Fördergespräche, bei denen alle Akteure dabei sind.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Vesper: Im Januar 2019 soll das neue System greifen. Es ist auf eine langfristige Perspektive ausgerichtet.

Versuche, die Spiele mal wieder nach Deutschland zu holen, sind gescheitert, zuletzt in Hamburg. Nach Rio entstand die Idee, die Spiele in die Region Rhein-Ruhr zu holen. Sehen Sie Chancen?

Vesper: Ich habe ja dereinst selbst die Werbetrommel für die Bewerbung von Düsseldorf/Rhein-Ruhr 2012 gerührt, und ich bin NRWler durch und durch. Aber dass sich Hamburg jetzt nicht durchsetzen konnte, lag nicht am Konzept. Im Gegenteil, das war hervorragend. Bevor man über einen neuen Anlauf nachdenkt, muss die Frage der Zustimmung und der Finanzierung geklärt sein. Noch ist es dafür viel zu früh. Erst müssen wir abwarten, für welchen Ausrichter sich das IOC für 2024 entscheidet.

Sie meinen, ob Europa oder ein anderer Kontinent den Zuschlag bekommt?

Vesper: Da gibt es keinen Automatismus. Die nächsten drei Spiele finden bekanntlich alle in Asien statt. Eher entscheidend wird sein, wie die derzeitige Glaubwürdigkeitskrise des Sports überwunden wird.