Hamburg. Skifahren kann man auch in Hamburg lernen. Besuch bei einem Verein, der seinen Mitgliedern ein einmaliges Angebot macht

Kraftvoller Doppelstockschub, dann Skaterschritte, links, rechts, links, rechts. Michael Henze kommt in Fahrt, Kommt richtig in Fahrt. Jetzt geht es durch einen alten Hörsaal, der als Holzlager dient, links um die scharfe Ecke, umsetzen, umsetzen. Nicht gegen die Stahltür krachen und weiter. Nächste Runde. Der gebohnerte Linoleumboden lässt die Rollski ordentlich laufen. Am Pausenraum vorbei, Vollgas, links rum – Michael ist dann erst mal wieder weg.

„Trinkpause!“ Roman Netzlaw (61) hält die Wasserflaschen bereit. Hat auch Vorteile, wenn die Trainingshalle ein Schulgebäude ist. Dann kann man auch beim Sport die Pausenhalle als solche nutzen. Etwa 15 Kinder und Jugendliche sind an diesem Abend gekommen, 23 sind insgesamt dabei, zwischen zehn und 17 Jahre alt. Es ist Hamburgs einzige in einem Verein organisierte Trainingsgruppe für Skilanglauf. Mitten im Osdorfer Born, dort, wo man am wenigsten an verschneite Tannenwälder, gespurte Loipen und Wintersport denkt. Sondern eher an Hochhausschluchten, Hartz IV und soziale Brennpunkte. Und dennoch ...

Es ist ein einziges Getümmel, die Großen laufen mit den Kleinen, nur schneller. Klassisch, Skaten, alles auf Rollskiern, die überwiegend der Schule gehören. Wer kann sich so etwas schon privat leisten? Die Eltern dieser Kinder überwiegend jedenfalls nicht. In einem Lagerraum sind die Ski abgestellt, ebenso Schuhe, die in die Bindungen passen. Das Training steigt im Winter in den Gängen der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule mitten im „Born“. Dorthin gehen die jungen nordischen Skisportler auch alle am Vormittag, um für das Leben zu lernen. Der größte Teil von ihnen hat zwar deutsche Pässe, aber eben auch einen „Migrationshintergrund“. Von Ghana, Spanien, Türkei bis Äthiopien ist alles dabei. Kleine Mädchen laufen mit Kopftuch, aber sie laufen. Das zählt. „Man muss das so sagen, wir leisten da auch wichtige Sozialarbeit in einem weniger privilegierten Stadtteil“, sagt Monika Hau, die Geschäftsführerin des SV Osdorfer Born, dem die Gruppe angeschlossen ist.

Roman Netzlaw würde das so nicht sagen, er weiß das aber natürlich. Doch der 61-Jährige ist mittendrin, er schaut nicht von außen drauf, sondern macht. Er ist Trainer, Motivator, Kümmerer – und Hausmeister der Geschwister-Scholl-Schule. Das ist praktisch, dadurch kann er im Winter abends das Gebäude für den Sport nutzen. An fünf Abenden in der Woche, tatsächlich. „Die meisten Kinder freuen sich über das Angebot, hier ist sonst nicht so viel los.“ Der Russlanddeutsche ist ausgebildeter Sportlehrer, hat nach seiner Übersiedlung in Hamburg aber zunächst sieben Jahre auf dem Bau gearbeitet, dann ergab sich die Chance auf den Hausmeisterjob. Seit 18 Jahren kümmert er sich ehrenamtlich um die Langlaufgruppe, die damals elf Jahre alte Tochter Valentina mischte da auch mit, „ich habe dann beim Training geholfen“. Wie es so ist. Einer hat Ahnung und übernimmt dann immer mehr. „Roman hat es echt drauf“, sagt Emre (17). Geht mehr Lob?

Begonnen hat es schon vor mehr als 20 Jahren mit „Jugend trainiert für Olympia“. Zehn Hamburger Schulen nehmen mit Langläufern an dem Wettbewerb teil, aber die Osdorfer sind seit Langem die Leistungsstärksten, fahren regelmäßig zum Bundesfinale – das will schon was heißen für diese Nordlichter. „Ja, die anderen Kinder aus dem Harz oder Thüringen oder so, die gucken dann schon mal komisch und wundern sich über uns“, erzählt Sarah Schwieger (13), „aber das macht uns nichts aus.“

Die Siebtklässlerin steht seit zweieinhalb Jahren auf den Skiern. Eine Freundin hatte sie mitgenommen, und Sarah war schnell entflammt: „Das Tempo, das Gleiten, es macht super Spaß.“ Sie ist so talentiert, dass sie sogar schon Talentspähern des Hessischen Verbandes aufgefallen ist. Auch Michael und Simon Mros (13) wurden schon beobachtet. Denkbar wäre ein Umzug ins Skiinternat in Willingen – was für eine Perspektive für die Hamburger. Aber die drei wissen noch nicht so recht, weg von daheim, wegen Skifahrens? Wohl eher nicht. Michael denkt ohnehin nur bis zum Frühjahr. „Dann mache ich vielleicht was anderes, Boxen oder so.“

Regelmäßig starten Sportler bei Wettkämpfen im Harz

Mit „Jugend trainiert“ ist es dann aus Altersgründen nämlich vorbei. Das ist auch der Grund, warum der Verein gegründet wurde. „Die Kinder sollen doch dabeibleiben, auch wenn sie größer sind“, sagt Trainer Netzlaw. Unterstützt wird er von Thorbjörn Keppeler (23), einem Jurastudenten, der im Hamburger Skiverband für den Nordischen Sport zuständig ist. „Roman macht die Basisarbeit und ich das Organisatorische“, sagt er. Regelmäßig starten die Osdorfer bei Wettbewerben wie dem „Harzer Cup“ oder bei noch weiter entfernten Events. Sie fahren auch mit einer Abokarte fast wöchentlich in die Skihalle nach Bispingen, damit sie auf richtigen Skiern trainieren können.

Das alles muss organisiert und bezahlt werden. Der Schulverein hilft dabei, auch der Verband und der Verein. Die Fahrtkosten übernehmen Keppeler und Netzlaw, weil sie die Kids eben in ihren Privatwagen zum Training oder zu Rennen fahren. „Roman kümmert sich fast um alles“, sagt Keppeler, „die Eltern können das weniger.“

Der Lohn für den Einsatz ist die Leistung. Der Trainer gerät ins Schwärmen, wenn er an einzelne Kinder denkt: „Die zehnjährige Alexandra, was für ein Talent.“ Langsam führt er sie heran, weckt die Begeisterung: „Ich versuche, dass es zu einer Liebe für den Sport kommt“, sagt er. So wie bei ihm.