Leipzig. Leipzigs Sportdirektor, der Baumeister des Aufschwungs beim Bundesliga-Aufsteiger, wehrt sich gegen die Kritik der Traditionalisten

Wer bei RB Leipzig Fußball spielt, dem fehlt es an nichts. Das neue Trainingszentrum des vom Getränke-Unternehmen Red Bull gegründeten und deshalb umstrittenen Bundesliga-Aufsteigers ist eine prächtige, hochmoderne Clubzentrale, in der jeder Spieler sogar ein eigenes Zimmer hat. Der Sportdirektor allerdings beschränkt sich auf ein normales, eher kleines Büro. Dort spricht Ralf Rangnick über den sensationellen Weg des jungen Teams an die Bundesligaspitze. Nur über das Top-Spiel am Mittwoch beim FC Bayern will der 58-Jährige noch nicht reden – nach der ersten Saison-Niederlage, dem 0:1 in Ingolstadt, sollen die Spieler ihren Fokus ausschließlich auf diesen Sonnabend richten, auf das Heimspiel gegen Hertha BSC. Rangnick über ...

...den steilen Aufstieg Leipzigs: „Dass wir jetzt so viele Punkte haben würden, konnte selbst ich nicht erwarten, und ich bin in unserem Verein einer der größten Optimisten und Visionäre. Aber die Situation zeigt, wie viel Qualität und Mentalität in unserer Mannschaft stecken. Es war schon in der ersten Woche nach dem Ende der Transferperiode spürbar, dass die Neuen das Trainingsniveau noch einmal deutlich angehoben haben. Wenn du auf einer Uni von vielen Hochbegabten umgeben bist, macht dich das noch ein Stück besser.“

...die These, Leipzig könnte das deutsche Leicester werden – die Engländer holten als krasser Außenseiter den Titel: „Theoretisch kann das natürlich passieren. Es ist nicht völlig unmöglich, aber es ist auch nicht sehr wahrscheinlich. Im Normalfall werden die Bayern Meister. Sie sind Lichtjahre von uns entfernt. Aber wir stehen auch nicht zu Unrecht da, wo wir im Moment stehen.“

...Uli Hoeneß, der RB Leipzig zuerst als Feind und dann korrigierend als Rivalen des FC Bayern bezeichnet hat: „Es ist schon ein Zeichen der Anerkennung. Ernst genommen werden wir aber inzwischen von fast allen. Manche Mannschaften stellen inzwischen in Spielen gegen uns ihre komplette Grundordnung und Spielweise um.“

...wachsenden Respekt: Ich habe schon länger das Gefühl, dass immer mehr Menschen unseren Erfolg anerkennen und ihn uns gönnen. Wir haben als Verein jedenfalls viele positive Attribute.“

...die anhaltende Kritik der Traditionalisten, der Club sei seelenlos, weil er von einem Sponsor gegründet und durch sein Geld nach oben gebracht wurde: „Ich war auf Schalke, in Stuttgart, Hannover, Ulm – überall gab es enorm viel Tradition. Ich weiß, wie viele Probleme das mit sich bringt. Ob nun Dortmund und Schalke mehr als 100.000 Mitglieder haben oder wir knapp 800 – die Zahl ist für mich nicht entscheidend. Sondern die Frage: Haben sie Mitspracherecht, und wenn ja, wie viel? Genau das nehmen ja viele Hardcore-Fans für sich in Anspruch, und das halte ich nicht mehr für zeitgemäß. Wichtig ist es, nah bei den Fans zu sein. Unsere Jungs leben hier, kapseln sich nicht ab, sind Teil dieser Stadt, auch dadurch entsteht Identifikation. Wir sind ein Verein zum Anfassen. Auf Schalke gab es im letzten Jahr eine öffentliche Diskussion, ob die Spieler nicht mehr in Düsseldorf wohnen sollten – und das bei einem der größten Traditionsvereine Deutschlands.“

...die Problematik, die Clubstrategie auch in Zukunft einzuhalten, nur Spieler zu verpflichten, die nicht älter als 23 sind, und eine Gehaltsobergrenze von drei Millionen Euro jährlich einzuhalten: „Dadurch, dass wir jetzt in der Bundesliga spielen, ist es sogar leichter geworden. Das Thema Geld war für unsere Neuen nachrangig. Und wenn wir nach dem Aufstieg einem Neuzugang doppelt so viel wie unseren Bestverdienern gezahlt hätten, hätten wir den Teamspirit gefährdet. Wir werden nicht umhin kommen, in den nächsten fünf Jahren das Gehaltsniveau anzuheben, aber dann sollten alle davon profitieren können. Unsere Zielgruppe bleiben junge Spieler, die Bock darauf haben, über den Karriereschritt Leipzig besser zu werden. Einen Emil Forsberg hätten damals auch andere Clubs für drei Millionen Euro aus Malmö holen können.“

...die Freiten, die der frühere leidenschaftliche Trainer Rangnick dem jetzigen Trainer Ralph Hasenhüttl lässt: „Alle Freiheiten, die ein Trainer braucht. Das Einzige, was vorgegeben war, ist die Art, wie wir Fußball spielen wollen. Aber das passte bei ihm auch, und genau deshalb wollten wir ihn ja unbedingt zu uns holen.“

...über seine Gesundheit (2011 musste er als Schalke-Trainer wegen eines Erschöpfungssyndroms zurücktreten: „Damals hatte ich gerade fünf Jahre in Hoffenheim hinter mir, wo ich Trainer und im Prinzip auch Manager war, weil ich die meisten Personalentscheidungen getroffen habe. Zudem war mein Vater monatelang sehr krank. Das alles ging an die Substanz. Ich wollte nach Hoffenheim ein paar Monate pausieren, aber dann kam Schalke dazwischen. Schalke war für mich nach der ersten Amtszeit emotional unvollendet und deshalb schwer abzulehnen. Ich habe in vielerlei Hinsicht zu wenig auf mich geachtet. Ich war immer für andere da, selten für mich selbst. Ich hatte bis dahin eher zu viel Energie als zu wenig. Rudi Assauer hat mich auf Schalke mal Brummkreisel genannt, darüber hat sich meine Frau amüsiert, weil sie es so treffend fand. Heute achte ich mehr auf mich.“