Hamburg. Der neue HSV-Chef Heribert Bruchhagen gilt in der Szene als Hüter der Finanzen. In Hamburg will er wieder beweisen, dass er einen aufgeregten Club führen kann

Es gibt diese Momente, in denen Heribert Bruchhagen an seinen verstorbenen Vater denken muss. Es sind die Momente, in denen er versucht ist, zu viel Geld auszugeben. Wer Bruchhagen kennt, der weiß, dass diese Momente selten vorkommen. Wenn sie kommen, dann kommen auch die Gedanken an seinen Vater. Und die bremsen ihn. „Ich hätte immer das Gefühl, mein Vater guckt von oben herab und sagt: ,Junge, was ist nur aus dir geworden‘“, hat Bruchhagen einmal gesagt.

An diesem Mittwoch wird aus Heribert Bruchhagen der neue Vorstandsvorsitzende der HSV Fußball AG. Im Alter von 68 Jahren tritt er die Nachfolge des am Sonntag des Amtes enthobenen Dietmar Beiersdorfer an. Bruchhagen soll den taumelnden Traditionsclub aus der sportlichen Dauerkrise führen. Und er soll den HSV auch wirtschaftlich wieder auf solide Füße stellen. Wer könnte das besser als Bruchhagen? „Wenn ich für 160 Euro nach London fliegen kann, nehme ich nicht für 900 Euro die Businessklasse. Das kann ich gar nicht“, sagte Bruchhagen einst über seine Eigenschaft der Sparsamkeit.

Bruchhagens Vater war ein Werkzeugmacher, streng katholisch. Mutter Hausfrau. Seine Eltern haben ihm früh vorgelebt, sparsam zu sein. „Ich habe von Kindesbeinen an gelernt, mit Geld umzugehen.“ Geboren in Düsseldorf, wuchs Bruchhagen mit seinen Geschwistern in Harsewinkel auf. Eine ostwestfälische Kleinstadt mit 24.000 Einwohnern in der Nähe von Gütersloh. HSV-Fans kennen den Ort. Hier hat sich die Mannschaft in den vergangenen zwei Jahren auf die Saison vorbereitet.

In sein Eigenheim nach Harsewinkel hatte sich Heribert Bruchhagen in diesem Sommer zurückgezogen. Nach fast 30 Jahren im operativen Fußballgeschäft verabschiedete er sich in den Ruhestand. 13 Jahre als Vorstandschef bei Eintracht Frankfurt hatten ihm gereicht. Die Bundesliga verlor einen ihrer größten Kenner. Bis heute. Nicht einmal ein halbes Jahr später kehrt Bruchhagen auf die große Bühne zurück. Er muss mal eben kurz den HSV retten. „Wenn der HSV anfragt, ist eine Zusage Pflicht“, sagt Bruchhagen.

Fragt man langjährige Wegbegleiter, ist die Rückkehr aus dem Ruhestand keine große Überraschung. „Ich habe schon im kleinen Kreis immer gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich nach Harsewinkel zurückzieht. Er kann einfach vom Fußball nicht lassen. Da ist er ein Überzeugungstäter“, sagte Axel Hellmann am Montag. Mit dem Vorstand von Eintracht Frankfurt arbeitete Bruchhagen von 2012 bis 2016 Seite an Seite. „Fußball ist sein absoluter Lebensmittelpunkt“, sagt Hellmann.

Allerdings ist aus Frankfurt auch zu hören, dass das Verhältnis zwischen Hellmann und Bruchhagen am Ende ziemlich zerrüttet gewesen sein soll. Bruchhagen war mehr oder weniger entmachtet. Die letzten drei Jahre seiner Amtszeit sollen ihn frustriert haben. Kritiker bezeichneten ihn als eine Art Frühstücksdirektor, der dem Bild des mächtigen Entscheiders nicht mehr entsprechen konnte. Beim HSV will er sich und der Welt beweisen, dass er es noch kann.

Dass Bruchhagen einen aufgeregten Verein führen kann, hat er in seinen Anfangsjahren bei Eintracht Frankfurt bewiesen. Als er 2003 seine Aufgabe als Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga beendete, um zur Eintracht zu gehen, hatte Frankfurt ein ähnlich schlechtes Image wie der HSV heute. Durch seine große Stärke, das Regieren mit ruhiger Hand, konnte Bruchhagen das Bild des Chaosclubs korrigieren.

Vor allem aber gelang es ihm, die Eintracht finanziell wieder gesunden zu lassen. Einen Schuldenberg von 19 Millionen Euro fand Bruchhagen bei seinem Amtsantritt in Frankfurt vor. Im Sommer hinterließ er den Verein schuldenfrei. Bruchhagen ist zwar kein Hamburger, aber er verkörpert das Bild des hanseatischen Kaufmanns. Wer wissen, will, was auf den HSV zukommt, der muss eigentlich nur die Geschichte seines Elternhauses kennen.

Geprägt hat Bruchhagen auch die gemeinsame Zeit mit dem schillernden Schalker Präsidenten Günter Eichberg. Bruchhagen arbeitete als Gymnasiallehrer für Sport und Geografie, als der Fürther Unternehmer ihn 1989 als Manager nach Gelsenkirchen holte. Nach lebendigen Jahren war Bruchhagen froh, dass er 1992 zum HSV wechseln konnte. „Eichberg war ein Hasardeur und hatte im Umgang mit Geld eine Leichtfertigkeit, die sehr nervig war“, sagte Bruchhagen später in einem Interview.

Bruchhagen soll am Mittwoch vorgestellt werden

Auch in Hamburg schätzte man seinen Blick für die Finanzen. Um die Lizenz zu sichern, musste Bruchhagen 1992 als eine seiner ersten Amtshandlungen den damaligen Abwehrchef Dietmar Beiersdorfer für zwei Millionen Euro an Werder Bremen verkaufen. Wie es die Geschichte so will, übernimmt Bruchhagen 24 Jahre später das Vorstandsbüro von Beiersdorfer im Volkspark. Am Montagmittag regelte Beiersdorfer hier noch einige Formalitäten. Am Mittwoch soll Bruchhagen vorgestellt werden.

Als Bruchhagens Büro noch in der Frankfurter Commerzbank-Arena beheimatet war, hing an seiner Wand ein großes Bild vom alten HSV-Stadion am Rothenbaum – gemalt vom früheren Torwart Rudi Kargus, der 1979 mit dem HSV deutscher Meister wurde. In die Vergangenheit will Bruchhagen in Hamburg aber nicht schauen. Das wird er auch bei seiner Präsentation noch einmal deutlich machen. „Es wird eine meiner Hauptaufgaben sein, integrativ zu wirken“, sagte Bruchhagen am Montag bei seinem Noch-Arbeitgeber Sky.

Als Visionär ist der „alte Sack“, wie Werder Bremens früherer Manager Willi Lemke seinen Kumpel am Sonntag im NDR-„Sportclub“ freundschaftlich bezeichnete, in der Szene nicht bekannt. Für diese Aufgabe hat ihn der HSV auch nicht verpflichtet. Bruchhagen gilt als Fußballrealist, als konservativer, seriöser Geschäftsmann. Auch in seiner Personalauswahl meidet er in der Regel das Risiko. Trainernamen wie Friedhelm Funkel, Armin Veh oder Thomas Schaaf stehen stellvertretend für seine Vorliebe für erfahrene Leitungen.

Entsprechend wird auch seine Sportchef-Auswahl ausfallen. Während der am Montag in Wolfsburg entlassene Klaus Allofs beim HSV kein Kandidat sein soll, darf sich Horst Heldt größere Hoffnungen auf eine neue Tätigkeit machen. Dem früheren Schalker Manager wird ein gutes Verhältnis zu Bruchhagen nachgesagt. Die Besetzung des Sportchefpostens wird eine der ersten Amtshandlungen Bruchhagens sein.

„Ich blicke der Aufgabe mit großer Vorfreude entgegen“, sagte der neue Vorstandschef am Montag. Seit 24 Jahren ist Bruchhagen HSV-Mitglied. Seine Töchter Franziska und Johanna leben in der Stadt. Auch finanziell bietet der Job einen Reiz. Dem Vernehmen nach erhält Bruchhagen beim HSV das doppelte Gehalt wie zu seiner Frankfurter Zeit, als er 850.000 Euro im Jahr verdiente.

Eines ist jedoch sicher, wenn Bruchhagen wieder an seinen verstorbenen Vater denkt: Er wird auf sein Geld und auf das des HSV gut aufpassen.