Leverkusen. Buxtehudes Emily Bölk soll bei der EM zur Führungskraft reifen. Start ist Sonntag

Die Pressekonferenz hat kaum begonnen, da steckt Emily Bölk den Kopf durch die Tür: „Bin ich hier richtig?“ Im Prinzip ist sie das, nur kommen die Einzelgespräche erst in 20 Minuten. So ganz ist die Handballerin des Buxtehuder SV noch nicht vertraut mit den Gebräuchen bei der Nationalmannschaft. Aber auch das wird sich noch einspielen.

20 Minuten später sitzt Bölk im Lindner-Hotel Bayarena auf einem Polstersessel mit bestem Blick auf den Rasen, der gerade für das Bundesligaspiel an diesem Sonnabend hergerichtet wird. Auf der Wange hat sie ein paar Kratzer. Begleiterscheinungen von dem was Bundestrainer Michael Biegler meinte, als er davon schwärmte, „mit welchem Engagement und welcher überragenden Leidenschaft die Ladys hier mitziehen“. Die Europameisterschaft in Schweden, die für die deutsche Mannschaft am Sonntag (18.30 Uhr/Livestream auf Sport1.de) mit dem Spiel gegen den WM-Zweiten Niederlande beginnt, kann also kommen.

Für Bölk (18) ist es der erste Großeinsatz bei den Erwachsenen. „Ich bin sehr gespannt“, sagt sie. Sie will versuchen zu beherzigen, was ihr die Eltern mit auf den Weg zum Vorrundenspielort Kristianstad gegeben haben: alles einfach zu genießen. Sie haben gut reden. Mutter Andrea lief 201-mal für Deutschland auf und wurde 1993 Weltmeisterin. Vater Matthias spielte immerhin in Fredenbeck Bundesliga-Handball. Beide werden sie auch vor Ort unterstützen, zumindest in der ersten Woche. Alles Weitere wird man sehen.

Vieles trauen dieser Emily Charlot Bölk eine ähnliche Karriere zu, wie sie die Mutter hatte. „Emmy wird die Mannschaft führen können“, sagt die Teammanagerin und Rekordnationalspielerin Grit Jurack, „wenn nicht jetzt, dann später.“ Jurack hat Bölk bei deren Gastjahr 2012/13 an der Sportakademie in Viborg (Dänemark) tagtäglich erlebt: „Sie war damals schon um Welten besser als alle anderen in ihrem Alter.“ Mit nur 16 Jahren durfte Bölk die U18-WM spielen – und wurde prompt zur besten Spielerin des Turniers gewählt.

Auf Bölk ruhen die Hoffnungen des deutschen Frauenhandballs. Wenn nicht bei diesem Turnier, dann bei der WM 2017 im eigenen Land, dem großen „Projekt“, auf das bereits alles Handeln ausgerichtet ist. Sie selbst findet, „dass andere die Führungsrolle in der Mannschaft haben“. Clara Woltering zum Beispiel, die herausragende Torhüterin, Spielmacherin Anna Loerper, die von Biegler zur Kapitänin befördert wurde, oder deren Vorgängerin Isabell Klein, mit der Bölk vergangene Saison noch im Buxtehuder Rückraum zusammengespielt hat.

Aber auf ihrer Königsposition Halblinks gibt es gerade kaum eine, hinter der Bölk ihre 1,82 Meter verstecken könnte. Nadja Nadgornaja? Ist hochschwanger. Xenia Smits? Hat sich den Fuß gebrochen. Shenia Minevskaja? Die Mittelhand. Und Saskia Lang vom HC Leipzig, die einzige verbliebene Kollegin in Bieglers EM-Kader, soll in jeder Partie für einige Minuten auf Linksaußen aushelfen, um Buxtehudes Alleinunterhalterin Lone Fischer zu entlasten. Auf eine zweite Spezialistin für den Flügel hat Biegler verzichtet, um bei der Besetzung der Mittel- und der Kreisläuferposition mehr Spielraum zu haben.

Biegler hat es geschafft, einen Klimawandel herbeizuführen

Trotzdem: Bölk soll Fehler machen dürfen. Und sie darf es auch, das hätten ihr die Mitspielerinnen zu verstehen gegeben: „In der Mannschaft baut jede die andere auf, wenn es mal nicht läuft. Die Atmosphäre ist sehr harmonisch.“ Auf diese Weise hat sich die Mannschaft am vergangenen Sonntag in Trier im Testspiel gegen EM-Gastgeber Schweden nach einem 10:20-Halbzeitrückstand noch zu einem 28:28-Unentschieden gekämpft. Bölk sagt: „Dieses Spiel hat uns gezeigt, dass wir mithalten können.“

Das war ja nicht immer so. 2007 gab es letztmals eine Medaille, Bronze bei der WM in Frankreich. Vor einem Jahr in Dänemark landeten die deutschen Frauen abgeschlagen auf WM-Platz zehn. Die Stimmung in der Mannschaft war so schlecht, dass Rechtsaußen Svenja Huber freiwillig auf eine Nominierung verzichtete. Inzwischen ist sie wieder dabei und schwärmt wie alle von dem positiven Klimawandel, den der frühere HSV-Trainer Biegler herbeigeführt hat.

Trotzdem kann es passieren, dass die Mannschaft nach den weiteren Vorrundenspielen gegen den Olympiazweiten Frankreich (Dienstag, 20.45 Uhr) und den WM-Vierten Polen (Donnerstag, 18.30 Uhr) als Gruppenletzter schon wieder die Heimreise antreten muss. Aber dieses Turnier ist ja auch für Biegler nur eine Art WM-Vorspiel: „Uns bleibt wenig Zeit, wir brauchen Spiele auf höchstem Niveau. Und die bekommen wir bei der EM jeden zweiten Tag.“

Emily Bölk hat sich zum EM-Ziel gesetzt, mehr als nur diese drei Spiele zu haben. Seit sie im Frühjahr ihr Abitur bestanden hat, kann sie für den Handball leben. Spätestens zum kommenden Wintersemester will sie ein Fernstudium anfangen, wahrscheinlich Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing. Das würde sie unabhängig machen von ihrer Geburtsstadt Buxtehude.

Denn für Bölk „ist nicht die Frage, ob ich Buxtehude verlasse, sondern nur wann“. Vielleicht schon im nächsten Sommer, vielleicht auch später. Sie sagt: „Es gibt so viele Herausforderungen, die mich reizen.“ Die erste ganz große hat sie jetzt vor sich.