Hamburg. Dem Trainer des FC St. Pauli läuft die Zeit davon, um seinen Club vor dem Abstieg in die Dritte Liga zu bewahren

„Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“ Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 49 n. Chr. vom römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca. Den FC St. Pauli gab es damals zwar noch nicht, Senecas Worte erinnern aber stark an die Situation des Schlusslichts der Zweiten Liga.

St. Pauli hatte 14 Saisonspiele Zeit, um zu punkten. Gerade einmal ein Sieg und mickrige sechs Punkte sprangen dabei heraus. Nicht nur wenn es nach Seneca geht, ist das viel Zeit, die nicht genutzt wurde. Fest steht: Die verbleibenden Spieltage dürfen nicht mehr vergeudet werden. Die Uhr tickt.

„Wir tun alles, was möglich ist. Wir müssen unsere Arbeit auf dem Platz umsetzen – und zwar über 90 Minuten“, sagt Trainer Ewald Lienen vor dem Spiel am Freitagabend (18.30 Uhr/Sky) gegen den 1. FC Kaiserslautern. „Es kann keine Entschuldigungen mehr geben. Rennen und kämpfen kann jeder, auch von der ersten Minute an“, führt Lienen fort. Was er damit anspricht, war die schlechte erste Halbzeit am vergangenen Sonnabend in Heidenheim (0:2). „Bisher haben wir es noch nicht hinbekommen, zwei Halbzeiten auf Topniveau zu agieren“, sagt Lienen.

Nicht nur dem FC St. Pauli läuft die Zeit davon, bei einer erneuten Niederlage – es wäre die achte der vergangenen neun Spiele – dürften bei aller Geduld und Sympathie bald die Tage des Trainers gezählt sein. „Ich habe gar keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, wie viel Zeit ich noch habe“, entgegnet Lienen und rückt den Verein in den Fokus: „Ich glaube nicht, dass es um mich geht. Es geht um den FC St. Pauli!“ Das Vertrauen, das der Kiezclub seinem Trainer jede Woche aufs Neue ausspricht, ist bemerkenswert. Einige würden es grob fahrlässig nennen, andere sprechen dem Verein Bewunderung für seine Geschlossenheit aus. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder steht man zusammen, oder es ergibt keinen Sinn, weiterzuarbeiten“, sagt Lienen, der seit Ende 2014 im Amt ist.

Anstatt des Trainers wolle man etwas am Verhalten aller Beteiligten ändern. Das geht meistens nur mit neuen Impulsen von außen, das weiß auch Lienen: „Wenn man in einer Krise ist, dann kann man sicherlich die Entscheidung treffen, das Personal zu wechseln“, leitet Lienen seine Erklärung ein. „Der Sinn eines jeden Personalwechsels ist, dass er eine Änderung im Verhalten herbeiführen soll. Das haben wir bis jetzt leider noch nicht hinbekommen.“ Übersetzt heißt das: Obwohl Sportchef Thomas Meggle entlassen und Co-Trainer Olaf Janßen aus Stuttgart dazugeholt wurde, hat sich nichts an der Situation geändert. Was muss also noch passieren? Ein weiterer Personalwechsel?

St. Pauli wird die Antwort am Freitag auf dem Platz geben. Mit Kaiserslautern wartet ein Gegner, der den Weg ohne Personalwechsel aus der Krise gefunden hat: Vor fünf Spieltagen standen die Pfälzer noch mit sechs Punkten auf dem 16. Platz. Dann gewannen sie drei Partien in Folge, spielten zweimal unentschieden. „Lautern ist ein gutes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man zusammenhält und geduldig ist“, sagt Lienen. Das tut der FC St. Pauli zweifelsohne. Und weiter: „Die Tabellensituation sieht aussichtslos aus. Aber im Fußball kann es schnell gehen, wenn man sich das verdient und erarbeitet.“ Schnell gehen – ein gutes Stichwort.

Hoffnung macht den von Verletzungen geplagten Hamburgern, die gegen Heidenheim auch noch Mittelfeldregisseur Christopher Buchtmann verloren, die starke Verfassung ihrer Youngsters. Insbesondere Dennis Rosin könnte nach Buchtmanns Ausfall eine entscheidende Rolle spielen. „Wenn er zur Verfügung steht, warum sollte man nicht mit ihm spielen?“, sagt Lienen. Am Ende der Pressekonferenz schaut er noch einmal auf seine Uhr. Sie tickt noch. Aber die verbleibende Zeit muss endlich genutzt werden.