Das Schönste ist es, normal zu sein. Mit diesem Lebensmotto unterscheidet sich der Hamburger von vielen seiner Nachfolger

Ist es vorstellbar, dass ein Mario Götze, der 2026 seine Karriere mit 34 Jahren beendet hatte, im Jahr 2072 in einen irischen Billigflieger Richtung Malaga steigt, um im spanischen Andalusien für seine Stiftung aktiv zu sein? Und dass „uns Mario“, kaum dass er in der Economy-Klasse Platz 11c eingenommen hat, schon die Reihen acht bis 13 mit launigen Sprüchen unterhält?

Nichts gegen den Dortmunder Profi, der am Sonnabend im Volksparkstadion auf den HSV trifft – trotz seines finalen Schusses zum WM-Erfolg 2014 in Brasilien liegt die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten dieses Szenarios bei unter einem Prozent. Wer aber Glück hatte, konnte dieses Erlebnis in den vergangenen Jahren regelmäßig erleben, wenn sich Uwe Seeler zur Postbank-Trophy nach Marbella aufmachte, um mit alten Weggefährten zu golfen und Geld für die Bedürftigen zu sammeln.

Wer sich fragt, warum Seelers Popularität über 44 Jahre nach dem Ende seiner Fußball-Karriere noch immer ungebrochen ist, muss im Grunde nur ein paar Minuten Zeit mit ihm verbringen. Ja, er schlug damals ein Angebot von Inter Mailand aus und verzichtete auf ein Millionengehalt, für damalige Verhältnisse eine unbeschreibliche Summe. Der Name Seeler steht für Treue, Bescheidenheit, Verlässlichkeit, Disziplin und Bodenständigkeit, was ihn zum Idol nicht nur einer Generation machte. Was den Nimbus aber bis heute am Leben hält, sind genauso seine Offenheit und Freundlichkeit, wenn ihm eine fremde Frau aus der hinteren Sitzreihe zuruft: „Hallo Uwe, machst du auch Urlaub, oder was hast du vor in Spanien?“ Getreu seinem Lebensmotto „Das Schönste ist es, normal zu sein“ glaubt er nicht, ein besonderer Mensch zu sein, bloß weil er Tore wie am Fließband schießen konnte.

Sein Spitzname „Uns Uwe“, den ihm 1961 ein Frankfurter Journalist nach einem spektakulären 4:1-Erfolg im Europapokal gegen Burnley verpasste, hätte nicht besser gewählt sein können. Seeler ist auch mit fast 80 Jahren ein Mann des Volkes geblieben, ein Volksheld – und das, obwohl ihm in seiner langen Karriere der Gewinn des WM-Titels versagt blieb. Ihn nicht zu mögen, ist praktisch unmöglich.

Als Fußballer einen solchen idolhaften Status zu erreichen – fast undenkbar. Obwohl es durchaus Einzelfälle gibt, die das Zeug dazu hätten wie Bayern Münchens Thomas Müller, der sich seine Authentizität und Originalität bisher anscheinend bewahrt hat.

In einer Zeit allerdings, in der jedes noch so unwichtige Alltagsdetail in die digitale Welt getragen wird, müssen sich prominente Kicker jedoch schützen. Zwar kommunizieren sie zum Beispiel via Facebook – 9,5 Millionen Menschen haben Müllers Einträge abonniert –, doch es ist eine Scheinnähe, mit der Fans versorgt werden. Nicht zuletzt nutzen die Werbepartner der Fußballer die privaten Netzwerke zum Bekanntmachen ihrer Produkte. Wer die Seite von Nationalspieler Jerôme Boateng aufruft, merkt schnell, dass er im Brillengeschäft tätig ist. Und ein Oliver Kahn, der auf jeden Fall das Zeug zum Legendenstatus hätte, macht Werbung für ein Wettunternehmen.

Überhaupt spielt Geld eine immer größere Rolle im Fußball. Die Einkommen in den vergangenen Jahren sind förmlich explodiert und stehen längst nicht mehr in einem gesunden Verhältnis zu normalen Gehältern. Mit einem Drei-Jahres-Vertrag eines Topverdieners lässt sich ein ganzes Leben sorgenfrei bestreiten. Wer woanders mehr verdienen kann, zieht weiter. Jeder, der dies beklagt, sollte überlegen, ob er nicht selbst die Umzugskartons packt, wenn er in einer anderen Stadt das Doppelte oder Dreifache verdienen könnte.

Auf der anderen Seite würde wohl ein bisschen mehr Uwe Seeler den Fußballprofis von heute nicht schaden. Mitzuhelfen, in einem Verein etwas aufzubauen und zu wissen, wo seine Heimat ist, kann wertvoller sein, als noch eine Million mehr anzuhäufen.

Und vor allem: Wer stets geerdet bleibt, dem wird die Rückkehr aus der Parallelwelt Fußball in die Normalität viel leichter fallen – wie Uwe Seeler.