Mexiko-Stadt. Formel-1-Spitzenreiter könnte sich bereits beim Großen Preis von Mexiko krönen. Ex-Champion Vettel denkt dagegen schon an 2017

Sie sprechen eine gemeinsame Sprache, sie haben beide von Michael Schumacher gelernt – sie haben sich allerdings nicht viel zu sagen, wenn sie mal zusammen auf dem Podium stehen. Das ist seltener geworden, seit sich Sebastian Vettel mit Ferrari auf dem technischen absteigenden Ast befindet und seit Nico Rosberg mit seinem Silberpfeil zu einem Höhenflug angesetzt hat, der schon beim Großen Preis von Mexiko an diesem Wochenende (20 Uhr MEZ/RTL und Sky) mit dem vorzeitigen Titelgewinn gekrönt werden könnte. Beide eint jedoch eins: der Glaube an sich selbst.

Sebastian Vettel schaut ein wenig gequält, als er im Autodromo Hermanos Rodriguez gefragt wird, was ein dritter deutscher Formel 1-Weltmeister bedeuten würde, und er hat auch keine richtige Antwort außer der: „Egal. Wir gucken nur nach uns selbst.“ Bei 26 Punkten Vorsprung auf Lewis Hamilton könnte Nico Rosberg theoretisch schon Sonntagabend erstmals Champion werden. Also muss Vettel als Experte fürs Titelrennen doch noch mal ran: „Es ist ein Duell auf Augenhöhe. Lewis kann man den Titel immer noch zutrauen, aber Nico steht ihm in nix nach. Jeder muss seinen Kopf freihalten, abrufen, was man kann.“

Nullfacher Weltmeister übertrumpft den vierfachen Champion, das ist eine der Trendgeschichten dieser längsten Formel-1-Saison der Geschichte. Das Prinzip, dass ein Rennfahrer immer nur so gut sein kann wie sein Rennwagen, mag eine gewisse Rolle spielen. Tatsächlich aber hat sich Nico Rosberg über den Erfolg auch innerhalb des Mercedes-Teams emanzipiert, während Sebastian Vettel in Maranello nicht mehr als Heilsbringer gehuldigt wird. Extreme Gegensätze zwischen den beiden Renn-Teutonen.

Bleibt Ferrari Dritter hinter Red Bull und wird Vettel Vierter, Fünfter oder Sechster der Fahrerwertung, dann bleibt seine weitere Zukunft in Rot offen. Der umstrittene Teamchef Maurizio Arrivabene sagt, dass Vettel sich wie jeder andere im Team eine Vertragsverlängerung verdienen müsse. Der eigentliche Vorwurf war der, dass sich der Heppenheimer doch bitte mehr aufs Fahren konzentrieren möge. Vettel sagt fast resignierend: „Ich muss doch wissen, was in der Fabrik läuft.“ Kein Angebot, den bis Ende 2017 laufenden Vertrag vorzeitig zu verlängern, wie es bei Schumacher guter und stabilisierender Brauch war. Das Chaos bei Ferrari zieht den Paradepiloten runter, und seine Laune wird nicht nur in Interviews schlechter: kein Sieg seit über einem Jahr, nur bei einem Drittel aller Saisonrennen auf dem Podium. „Es gibt keine Entschuldigung für unsere Ergebnisse.“

Die Attacke auf Vettel, dessen
Ergebnisse in dieser Saison mal von der Technik und mal von seinem Überehrgeiz in Zweikämpfen negativ beeinflusst wurden, ist ein Beleg für die Zerrissenheit in Maranello. Zuletzt in Austin rollte Kimi Räikkönen rückwärts den Berg runter ...

Schnell aufwärts könnte es nur durch einen gelungenen technischen Schachzug beim Reglementwechsel im kommenden Frühjahr geschehen: Am Ziel für 2017 hält Vettel trotzdem fest: „Da ist alles drin. Wir sind hier, um Erster zu werden.“ Sieglos war er zuletzt 2014 geblieben, dem Jahr, als er Red Bull nach vier WM-Titeln in Folge den Rücken zukehrte. Eine weitere Alternative für den 29-Jährigen gibt es außer bei Ferrari derzeit nicht.

Nico Rosberg spricht nicht über sein Erfolgsgeheimnis, er tut so, als ob es auch gar keins gibt. „Das ist sein Trick, mit dem Druck klarzukommen“, weiß Rivale Hamilton. Er wiederholt sich dabei so oft, dass ihn Bernie Ecclestone als Langweiler brandmarkt. Gewiss, die zahlreichen technischen Pro­bleme des Konkurrenten haben für seine WM-Führung gesorgt. Trotzdem ist neben dem Schicksal aber noch etwas anders auf der Seite des 31 Jahre alten Wiesbadeners: Er mag alles so akribisch angehen wie immer, aber er hat eine neue Leichtigkeit gewonnen, indem er sich – zumindest öffentlich – nicht mehr so auf den Rivalen fixiert. Der Rosberg von 2017 hat sich zu einem rasenden Schneckenhaus entwickelt. Ärger versucht der WM-Tabellenführer durch Lässigkeit zu überspielen, aber es scheint doch immer wieder die neue Härte durch, die er sich zugelegt hat. Gegen sich selbst, aber vor allem gegen andere. Das ist der Imagewandel, der durch neun Siege in 18 Rennen unterstrichen wird. Und in Unisono-Komplimenten der Mercedes-Bosse Toto Wolff und Niki Lauda mündet: „Wir erleben den besten Nico, den es je gab.“

Drei Jahre an der Seite von Michael Schumacher haben seine Karriere nachhaltig beeinflusst. Selbstbewusst war der Weltmeister-Sohn (er hasst diese Bezeichnung natürlich) von Keke Rosberg schon immer, aber Selbstsicherheit hat er erst jetzt so richtig entwickeln können. „Ich habe noch nicht daran gedacht, dass ich verlieren kann. Das wären mir definitiv zu negative Gedanken, die würden mich sicher nicht schneller machen“, sagt der WM-Spitzenreiter.

Beinahe abergläubisch hält Nico Rosberg an seiner Taktik, sich nur auf das jeweilige Rennen zu konzentrieren, fest: „Ich möchte es simpel halten und konzentriere mich auf die Arbeit. Das hat für mich bislang am besten funktioniert, so fühle ich mich am stärksten. Ich werde versuchen, in Mexiko zu gewinnen. Das ist alles.“

Es gab eine Zeit, da galt das auch für Sebastian Vettel – 2010, als er aus fast aussichtsloser Position zum ersten Mal Weltmeister wurde.