Hamburg. Der Ex-Frankfurter Nicolai Müller berichtet, wie er als Talent bei seinem Herzensverein aussortiert wurde

Nicolai Müller ist gut herumgekommen in seiner Karriere. Vor seiner Zeit beim HSV war der 29-Jährige in Mainz, Fürth und Sandhausen. Die längste Zeit war Müller aber bei Eintracht Frankfurt, dem kommenden HSV-Gegner und dem Club seiner Kindheit. Ein Gespräch über geplatzte Träume, schwere Rucksäcke und einen neuen Versuch gegen Frankfurt.

Herr Müller, Luca Waldschmidt hat verraten, dass er als ehemaliger Frankfurter zehn Karten für das Spiel am Freitag gegen die Eintracht besorgen muss. Können Sie das toppen?

Nicolai Müller: Ne, Freitag kommen neben meiner Familie nur zwei Cousins zu Besuch, die unser Spiel gegen die Eintracht unbedingt sehen wollen.

Haben Sie als ehemaliger Frankfurter eine Erklärung dafür, warum es bei der Eintracht in diesem Jahr so gut läuft?

Am Wochenende hatten sie ja sogar die Bayern am Rande einer Niederlage. Aber eine Erklärung für die bislang starke Saison habe ich nicht. Dafür bin ich mittlerweile zu weit weg.

Anders gefragt: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum es beim HSV in dieser Saison so schlecht läuft?

Es war definitiv anders geplant. Irgendwie fehlten immer die entscheidenden fünf bis zehn Prozent. Oft waren es nur Nuancen. Sogar in so einem Spiel wie gegen Leipzig, das wir 0:4 verloren haben, waren wir bis zum 0:1 auf Augenhöhe. Bei aller berechtigten Kritik müssen wir uns selbst daran erinnern, dass jetzt nicht alles schlecht war.

Uns ist aufgefallen, dass Sie selbst noch nicht die wirklich gute Form der Vorsaison haben. Man hat bisweilen sogar den Eindruck, dass Sie den schweren Rucksack, den Sie nach Ihrem unglücklich verlaufenen ersten Jahr mit dem Rettertor in Karlsruhe ablegen konnten, sich zuletzt wieder über die Schulter geworfen haben.

Einspruch! Man kann die jetzige Situation überhaupt nicht mit der Situation von vor zwei Jahren vergleichen. Ich habe keinen 20-Kilogramm-Rucksack mehr auf dem Rücken, fühle mich fit und auch frei.

Wie haben Sie es damals geschafft, den schweren Rucksack loszuwerden?

Das hatte gar nicht so viel mit dem Tor gegen Karlsruhe zu tun. Vielmehr war wichtig, dass wir im Jahr danach als Mannschaft ganz anders aufgetreten sind als in der Vorsaison. Wir waren eine Einheit, und deswegen lief es dann auch bei mir plötzlich viel besser. In meinem ersten HSV-Jahr hatten wir vier Trainer in einer Saison. Im vergangenen Jahr waren wir dann endlich stabil – und genau dahin müssen und werden wir jetzt auch wieder kommen.

Was kann man als Spieler machen, wenn man merkt, dass es gerade nicht läuft?

Arbeiten. Es ist doch klar, dass ich nicht zufrieden bin. Keiner bei uns ist zufrieden. Wir haben zwei Punkte aus sieben Spielen – da wäre es fatal, wenn irgendeiner bei uns zufrieden wäre.

Entschuldigen Sie die Nachfrage: Aber was kann man als Spieler konkret machen, wenn man so einen Negativlauf hat, den man unbedingt durchbrechen will?

Natürlich analysieren wir unsere Spiele gemeinsam, aber wir müssen jetzt auch keine Panik machen. Vor zwei Jahren waren wir komplett chancenlos – jetzt fehlt uns leider immer der letzte Schritt, der letzte Pass. Eben gerade hatten wir zum Beispiel eine Videoanalyse des Gladbachspiels. Da hatten wir eigentlich einen richtig guten Plan. Bis zum Platzverweis hatten wir drei Super-Kontermöglichkeiten, bei denen wir leider jedes Mal den letzten Pass nicht konsequent genug spielten. Mit der Roten Karte war unser ganzer Plan dann leider hinfällig. Gegen Frankfurt haben wir nun einen neuen Versuch.

Sie wurden in Frankfurt ausgemustert.

Das stimmt. Ich war eigentlich immer Frankfurt-Fan, und ich bin noch immer Eintracht-Fan. Aber mit 16 Jahren wurde mir im Eintracht-Internat gesagt, dass ich nicht gut genug sei.

Wie sagt man einem 16-Jährigen, dass er nicht gut genug ist.

Du bist nicht gut genug. Fertig.

Ihre Welt muss zusammengebrochen sein.

Meine Welt ist zusammengebrochen. Ich war als Jugendlicher Balljunge im Waldstadion. Ich kann mich beispielsweise noch bestens daran erinnern, wie die Eintracht am letzten Spieltag der Zweiten Liga durch einen 6:3-Sieg gegen Reutlingen aufgestiegen ist. Alexander Schur hat das letzte Tor geschossen – und ich stand als Balljunge genau daneben. Solche Momente vergisst man nicht, auch nicht wenn einem dann später gesagt wird, dass es für eine Bundesligakarriere in Frankfurt nicht reichen soll.

War mit dieser Entscheidung Ihr Bundesligatraum zunächst ausgeträumt?

Im ersten Moment dachte ich natürlich, dass ich es jetzt nicht mehr packen werde. Ich war unglaublich enttäuscht. Aber irgendwann muss man sich dann klarmachen, dass dies nur die Entscheidung von einem einzigen Nachwuchstrainer war. Dann muss man sich schütteln und einen Neustart woanders machen. In meinem Fall war dann klar, dass ich es bei Fürth oder Nürnberg versuchen würde, weil die nur anderthalb Stunden von meinem Zuhause entfernt waren.

Sie wurden also nicht gescoutet?

Ich habe einfach in Fürth angerufen und gefragt, ob ich mittrainieren darf. Der Trainer hat dann gesagt: Klar, komm doch vorbei! Den endgültigen Durchbruch hatte ich dann in Mainz.

Ein Frankfurter in Mainz.

Wenn es passt, dann passt es. Das gilt auch für Freitag. Heimspiel. Abendspiel. Flutlicht. Da muss es passen.